Der Fall Service public

Eine Polemik

Wir schreiben den 14. Juni 2015, Abstimmungssonntag zur RTVG-Revision, der Gebührenvorlage zur Finanzierung des SRF. Eine Vorlage, die mit einer käsescheibchendünnen Mehrheit von 3696 Stimmen verabschiedet wurde. Die bisherige Empfangsgebühr wird nun neu nicht mehr an die Existenz eines Empfangsgerät geknüpft, in Zukunft zahlt jeder Haushalt eine Fixgebühr von CHF 400; Unternehmen mit einem Umsatz von über CHF 500 000 pro Jahr müssen ebenfalls einen Obolus entrichten, ob diese Unternehmen hören oder sehen ist obsolet.

Foto: SRG SSR / Marcel Grubenmann
De Weck (Foto: SRG SSR / Marcel Grubenmann)

Das knappe Resultat, der Abstimmungskrimi zur Finanzierung des Service public an jenem besagten Sonntag wirkte wie das Donnergrollen einer Verwechslungskomödie. Die Verlierer, der Gewerbeverband, an vorderster Front der zähnefletschende Brutus Hans-Ulrlich Bigler, Gewerbeverbandsdirektor und FDP-Nationalratskandidat, ein wildes Sammelsurium aus bürgerlichen Politiker, die Verleger, die Zürcher Wirtschaftskammer sowie der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) gurrten listig in die Kameras nach Bekanntgabe des Resultats. Das Verlierer-Komitee stand an jenem Sonntagabend da, als hätten sie die Abstimmung gewonnen, mit einer feixenden Gewissenhaftigkeit dem Moloch, diesem SRF, dieser Vox-Leutschenbach, diesem Staatsmedium kräftig ans Bein gepinkelt zu haben. Die Gewinner, die welsche Schweiz, ein überparteiliches Komitee aus Politikern inklusive dem telegenen Martin Candinas, CVP-Nationalrat aus dem Kanton Graubünden, der in seinem besten Bündnerisch beschaulich auf allen Frequenzen der Staatsradios und im Staatsfernsehen ohne einmal Luft zu holen die Ent- und Belastungen der Gebühr vorrechnen konnte, dass einem warm ums Herz wurde. Jenes Ja-Komitee also, das sich stolz die Floskel Solidarität zwischen den Sprachregionen auf die Fahnen geschrieben hatte (Polenta-Kanton Tessin lehnte die Vorlage ab) mit ihrer Zugspitze, dem päpstlichen Roger de Weck, Generaldirektor der SRG, als moralische Instanz quasi unanfechtbar, der unerbittlich via ex cathedra Wohlmeinendes, Wohlklingendes und Unwidersprechbares von sich gab, als gäbe es an der Dienstleistung Service public gefälligst nicht zu zweifeln; wer die SRG nicht mag, ist ein Ketzer!

Public, Popolo und Populisten

Rewind: Der Stein ins Rollen gebracht, hat eine Bemerkung von Anita Fetz, dass bald nicht mehr über ein Gebührenmodell, sondern über die Leistung des Service public diskutiert wurde. Die SP-Ständerätin aus Basel gab unverblümt zum Ausdruck, dieses Kuhglockengedöns, Fernsehbeiträge über Rentner, die mit ihren Walking-Stöcken bewaffnet und lilafarbenen Stirnbändern für Gebührengeld in irgendeiner Gondelbahn der Innerschweiz abgefilmt würden, diese langweiligen Jassabende mit Roman Kilchsberger – das sei doch kein Service public. Plötzlich weitete sich die Stossrichtung der Diskussion über die RTVG-Vorlage in eine Inhaltsdebatte des Service public aus. Hinz und Kunz überlegten sich nun, ob Lauberhornrennen und Glanz und Gloria oder Voice of Switzerland Service public-würdige Themen, ergo SRG-Aufgaben seien. Das Gebührenmodell – ausser, dass Hans-Ulrich Bigler die Gefährlichkeit betonte, dass Gebühren, qua natura, immer steigen und willkürlich von Seiten des Bundesrats erhöht werden (können), ohne dass das Parlament ein Wörtchen mitreden dürfe – geriet in den Hintergrund unserer allwiderkehrenden direkt-demokratischen Debatten.

Einer Inhaltsdebatte, eine Diskussion um Do’s und Dont’s der SRG, da wird es Roger de Weck schlicht zu bunt. Seine Unfehlbarkeit in Person betonte bei solchen Vorwürfen, die vor allem von Seiten der «Aktion Medienfreiheit» geäussert wurden, deren Vorstand Christan Wasserfallen (FDP), Natalie Rickli (SVP), Thomas Maier (GLP) und Thomas Müller (SVP) angehören, dass eine solche Debatte zwar erfreulich zur Kenntnis genommen würde, unter Vorbehalt, dass sich der Beschwerdechor aus SRG-Gegnern konstruktiv äussern würde und bitte die regionalen Integrationsleistungen mit 27 Radiosendern und TV-Stationen in allen Sprachen und Teilen unserer Schweiz berücksichtigen – auf gut Deutsch – redet mir nicht in meine SRG rein, und schon gar nicht den Leuten nach dem Maul! Das No-Billag-Komitee, die Hardliner in Fragen zur eidgenössischen Öffentlichkeit, forderte inzwischen sämtliche Köpfe der SRG-Spitze.

Die Privaten und die Herren Verleger

Das Amuse-bouche, ein appetitanregendes mundgerechtes Häppchen zur RTVG-Debatte, die sich jetzt zur SRG-Debatte wandelte, barg sich in der SRF-Abstimmungsarena bei Jonas Projer. Am Freitag 29. Mai bot das SRF Raum, um über die Vorlage die Fetzen fliegen zu lassen. Der joviale Projer befand, dass dies eine spezielle Sendung ist, da er ja auch Arbeitnehmer beim SRF sei. Spannend soll es werden, so was Geiles auf SRF.

Das Spannendste an der SRF Arena, neben dem verstörenden Studio, in dem die Debattierter im Dunkeln in Richtung Prüfstand zitiert, um danach mit grellem Licht und Fragen von Projer gelöchert aus der Defensive gelockt werden, Experten mit einem Buzzer (Wie bei Supertalent!) dazwischenfunken können, war eben jener Gast am Buzzer-Pult: NZZ-Chefredakteur Eric Gujer. Der Vertreter der alten Dame sagte 60 Minuten nichts. Das ist erstaunlich, womöglich grübelte Gujer kopfschüttelnd darüber nach, ob er auch eine Zwangsgebühr einführen könne, unabhängig davon, ob man die NZZ abonniert hat oder nicht. Das würde viele finanzielle Probleme lösen –  wir werden es nie erfahren.

Die Debatte bot, wie das fürs Fernsehen üblich ist, vereinfachte Parolen, verschärftere Grabenkämpfe und warf sogar die Frage auf, was wohl die Privaten alles machen könnten, was die SRG ihnen schon abnimmt und sie an eine Randexistenz drängt. Hier wird es tatsächlich spannend: Vielfalt in der Medienbranche, damit ist nicht die Titelvielfalt, sondern die Verlegervielfalt gemeint, als Achillesferse unserer Demokratie, die eine Öffentlichkeit mit vielen Tenören braucht. Doch bald müssen, verfolgt man die Debatte in den letzten Monate etwas genauer, die privaten Verleger wie etwa Verleger Peter Wanner (AZ Medien), Inhaber der TV-Senderfamilie, welcher Tele Bärn, Tele M1, TV24 und Tele Züri angehören, zugeben, dass auch sie von der Revision des Gebührenmodells profitieren. Mit der Annahme flossen Gebührengelder in die Kassen von insgesamt 34 Privatsendern, ausser dem stolzen Schwänchen Tele Züri, das zwar keine Cash-Cow ist, aber offensichtlich ihr Handwerk verstanden hat, um Ende Monat ihre Arbeitnehmer bezahlen zu können. Ohne Gebührengelder –  die Privaten Sender sind hier über 70% mit Gebühren und 30% über Werbung finanziert (Gebührensplitting) – sind Private kleine, auf Sparflamme gehaltene Sender, die weder den Auflagen, um einem Fussball Match der Schweizer Fussballnationalmannschaft entgegenkommen könnten, noch würden diese gleich zum Goldesel avancieren, zieht sich die SRG aus dem Werbegeschäft zurück (SRG erzielt mit Werbung zusätzlich zu den Gebühren, 30% ihrer Gelder), da die Werbefenster nicht unmittelbar an die Privaten abwandern. Hier kommt der Nachteil eines kleinen Landes, wie die Schweiz eines ist, zu tragen. Ausländische Anbieter schalten ihre Werbefenster (wie Sat.1 Schweiz), unabhängig davon, ob die SRG aufhört sich nebst Gebühren auch noch durch Werbung zu finanzieren. Erst, und das ist ein knochenhartes Geschäft, wenn die Privaten hohe Quoten ergattern, mit einer Sendung auftrumpfen (wie 3+ mit Bachelorette), erst dann klingeln die Herren von der Werbung, vorher schert sich keiner ein Deut um kleine Sendeformate, die keine hohen Einschaltquoten erzielen (Kapitalismus!). Hinzu kommt, der Service Public bestitzt eine ureigene Kompetenz im Unterhaltungsbereich. Eurovision Songcontest ist eine Show, die quasi von den öffentlich-rechtlichen ins Leben gerufen und über die Jahre getragen wurde, immer waren auch Gebührengelder überhaupt Grundlage für so eine Show. Dass Voice of Switzerland vom SRF produziert wird, ist eine Konsequenz daraus. Das Erfolgsprodukt von BBC One, eine öffentlich rechtliche Sendeanstalt wohlgemerkt, ist die Casting-Show The Voice.

Kritik muss sich die SRG im Internet gefallen lassen, wobei auch hier der schuldunfähige de Weck im Rahmen der juristischen Möglichkeiten vom Bakom überwacht wird: wie agiert die SRG im Web, wie ist sie verlinkt, und wie steht sie zu Bezahlapps- bzw. wie positioniert sie sich im Digitalgeschäft gegenüber der privaten Konkurrenz? Transparenz gegenüber dem Gebührenzahler, vor allem aber gegenüber der Konkurrenz wird gefordert. Gegenüber privaten Printmedien, die ihren Abonnentenschwund im Online-Bereich abzuholen versuchen, Medienunternehmen die sich vertikal konzentrieren, in Dating-Plattformen, Immoscout und Auktionsplattformen investieren.

Wir sind im Wahljahr

Natürlich brodelt es, und natürlich brodelt es noch viel mehr, wenn Wahlkampf angesagt ist, nach so einer hauchdünnen Mehrheit für die RTVG-Revision. Es ist ein Politikum. Dennoch graust es, wenn man in Bundesbern hört, über welche Sendepläne man den Rotstift ansetzen will. Schall und Rauch? Der helvetische Herbst wird es uns verraten.

Dennoch, die Rechnung – halbiert die SRG, gebt es den Privaten – greift zu kurz, zumindest im TV-Geschäft.

Ironischerweise hat die ganze Geschichte rund um den Service public gezeigt, wie verschlafen sich Bundesbern mit der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt auseinandergesetzt hat, jeder denkt bei Service Public an was anderes, der Vertrauensverlust gegenüber Medien und zusammenhängend gegenüber dem des Service Public, ist über Feedbackkultur durch die Digitalisierung präsent. Wir haben keine virtuelle Agora mit dem Internet geboren, dass sich Medienschaffenden, PR-Fachleute und Journalisten mit den Rückmeldungen, den Reaktionen ihrer Leser und Rezipienten auseinandersetzten, entspricht dem Naturell der Branche, dem Kern ihrer Dienstleistung, ebenso klar, dass es da auch mal rau zu und her geht. Ob der Vertrauensverlust zugenommen hat? Hierbei wage ich zu bedenken, dass das womöglich nur so erscheint, früher – also im vordigitalisiertem Zeitalter – da haben Herr und Frau Schweizer beim Frühstücksei auch schon über den Service public geflucht. Gänzlich Entnervte griffen zu Schreibpapier und Stift und verfassten einen gehässigen Leserbrief, heute geht das übers Login bei srf.ch.