Die Leiden eines Morgenmuffels

Dampf ablassen, sich auskotzen, beherzt die Arschkarte zücken. Richtig: Negative White regt sich auf. Eiskalt, sarkastisch, manchmal grundlos und ganz bestimmt immer subjektiv. Im «Aufreger» gibt's ab sofort alles zu lesen, was der Redaktion so richtig auf den Sack geht. 

Ach du Scheisse. Das darf doch nicht wahr sein… Ich ziehe meinen Kopf ein. Ganz ruhig. Unauffällig stürme ich wie eine Mischung aus einer Schildkröte im Panzer und dem Glöckner von Notre-Dame panisch hinter das nächste Schild am Gleis. Ich blinzle penetrant in die entgegengesetzte Richtung – wann kommt endlich der verdammte Zug? Ob sie mich gesehen hat? – Nein, bestimmt… «Hey, Katja!» – Ich zucke zusammen. In meinem Kopf höre ich die Melodie aus Supermario, wenn du gestorben bist: «Uäh, uäh, uäh, uäääääh». Dann fahre ich herum. «Oh. Heeeey.» – Zahnpastalächeln. Schweren Herzens ziehe ich mir einen meiner Ohrstöpsel aus dem Ohr. Nur einen, die Musik stelle ich erstmal leiser. «Weiter, weiter ins Verderben, wir müssen leben bis wir sterben», säuselt Till Lindemann in mein Ohr. Wie Recht du hast. Schluchz. «Musst du auch auf diesen Zug?», unterbricht mich die alte Bekannte aus Primarschultagen. Verdammt. Und das war er, dieser Moment an dem ich weiss: Mein Tag ist versaut, er ist versaut. Und das bereits um 7 Uhr morgens. Hallelujah.

So einfach ist das

Ich als geständiger Morgenmuffel habe es echt nicht leicht. 6 Uhr, das ist einfach nicht menschlich. Nachdem ich mich dann aus meinem warmen Bett gequält habe – kann mir an dieser Stelle bitte mal irgendein Schlaumeier erklären, warum man immer dann, wenn der Wecker läutet, am besten (ein)schlafen könnte? – und die Fröhlichkeit meiner Familie am Frühstückstisch gekonnt ignoriert habe, verlasse ich das Haus. Falls ich zu diesem Zeitpunkt bereits laufe, sich dabei meine Frisur selbst vernichtet und mir gleichzeitig einfällt, was ich vergessen habe, dann wird es heikel. Dann gibt es nur etwas, was meinen Tag (und wahrscheinlich auch den meiner Mitmenschen) noch retten kann: Musik. Ohrstöpsel rein, Welt raus. So einfach ist das.

Oder eben nicht

Und genau dort kommen diese netten, alten Bekannten ins Spiel, die am Dorfbahnhof auf einen lauern. Wahrscheinlich geht es denen doch genau gleich, oder? – Also lasst uns doch einfach so tun, als hätten wir uns nicht gesehen. – So einfach ist das. Oder eben nicht.

Man muss zwischen zwei verschiedenen Typen von Morgenterroristen unterscheiden: Da wäre zum Beispiel der «Ignorus egoisticuus» oder umgangssprachlich das «Chamäleon». Es zeigt ähnliche Verhaltensmuster, wie der Morgenmuffel. – Also ja, es gibt diese Leute, die mein Arschgesicht morgens früh genauso wenig sehen wollen, wie ich ihres; vielen Dank dafür. – Die beiden Spezies leben in  Symbiose. Der natürliche Lebensraum des «Ignorus egoisticuus» befindet sich an den Enden der Bahnsteige, um mögliche Kontakte mit anderen Lebewesen möglichst zu meiden. Zwei Meter Distanz reichen beim Zusammentreffen zweier Exemplare dieses Typus vollkommen aus, um sich nicht zu sehen. Das «Chamäleon» hat zahlreiche Tarnungstechniken entwickelt: Erwähnenswert ist dabei vor allem das «Synchron-kontroverse Wegschauen», diese Taktik verschaffte dem «Chamäleon» den Beinamen «Ihobdinidgsehn». Als natürlicher Feind dieser Spezies gilt der Augenkontakt. Einige besonders entwickelte Exemplare überleben jedoch gar einen kurzen Augenkontakt mit einem Abwehrsystem: Das verträumte, in Gedanken versunkene Umherstarren.

Der zweite Typ ist in der Fachsprache als «Penetrantus idiotus» bekannt. Wie der Name bereits ahnen lässt, ist dieser Typus ein unangenehmer Genosse. Er ist der grösste Feind des Morgenmuffels und des «Ignorus egoisticuus». Er kommuniziert mit fixen, repetitiven Lautmelodien, die seine Opfer psychisch terrorisieren und/oder einschläfern sollen. Er beginnt meist mit einem: «Wie geht`s?» – wobei er durch Mimik und Gestik unterstreicht, wie sehr ihm die Antwort egal ist. Es folgt meist eine Pause, in der das Opfer durch ein Lächeln zur Gegenfrage gezwungen wird. Nach der Antwort setzt der «Penetrantus idiotus» wiederum eine Pause ein, um das Unbehagen seines Opfers zu verstärken. Möglichst penetranter Augenkontakt zwingt das Opfer zudem, seine Ohrstöpsel ganz rauszunehmen und die Musik abzustellen. Mit dem Satz: «Und, weisst du schon, was du später machen willst?», versetzt der «Penetrantus Idiotus» seinem Opfer dann meist den Todesstoss.

Oh ja. Das ist der Todesstoss aller Studenten, Bald-Studenten und vor allem derjenigen, die noch gar keinen Plan haben, was sie wollen und nicht wollen. «Halt die Fresse, wenn du mit mir redest», möchte man da manchmal lächelnd antworten; sollte ich vielleicht auch einmal, dann stünde ich zumindest für diesen einen penetranten Idioten das nächste Mal wohl nicht mehr zuoberst auf der Speisekarte.