Die Schweizer Musikszene in der Coronakrise

Die Massnahmen des Bundesrats treffen Kulturschaffende mit voller Härte. Wir haben vier Selbstständige aus der Musik- und Eventbranche zu ihrer aktuellen Lage in der Coronakrise befragt.

Die Schweizer Musikszene in der Coronakrise

«Wenn es sich in den Sommer zieht, muss ich eine andere Einnahmequelle suchen.»

Hallo Daniel. Wer bist du, was machst du?
Ich bin Daniel Gisler und arbeite als Keyboarder. Hauptsächlich bei Hecht, spiele aber auch bei anderen Bands wie z.B. Tim Freitag oder der Kinderband Sing mit Nelly (früher Tischbombe). Grundsätzlich bin ich Livemusiker.

Wie bist du von der aktuellen Situation betroffen?
Logischerweise durch alle Konzertabsagen bis sicher Ende April. Es ist aber schon damit zu rechnen, dass es länger anhalten wird. Dazu kommen die Bandproben, die nicht mehr stattfinden. Die Abstandsregel von zwei Meter ist so leider in den meisten Proberäumen nicht einhaltbar – dadurch ist auch schon eine Studiosession weggefallen. Ich versuche mich weiterzubilden und wir sind online miteinander in Kontakt.

Habt ihr auch schon an Online-Proben gedacht?
So weit sind wir noch nicht. Wir tauschen Files aus und skypen viel.

Was hältst du von den Massnahmen des Bundes?
Ich bin davon überzeugt, dass sie gerechtfertigt sind. Sie sind so einschneidend, dass das kaum aus Spass gemacht wird. Ich sehe sie als Notwendigkeit und stehe voll dahinter.

Wie verbringst du deine dazugewonnene Zeit?
Aktuell gehe ich viel Joggen. Ansonsten bin ich noch am überdenken, was ich alles machen kann. Ich werde mich aber sicher zu beschäftigen wissen.

Ich nehme an, dass du relativ grosse Ausfälle hast. Wie überbrückst du diese?
Da es im Live-Business sowieso immer schwierig ist, die Einnahmen zu kalkulieren habe ich ein «Schwankungspolster», mit dem ich eine Zeit lang durchkomme. Wenn es sich in den Sommer zieht, muss ich aber auch eine andere Einnahmequelle suchen.

Der Bundesrat sagt, er lasse auch die Freischaffenden nicht im Stich. Was sind deine Erwartungen / Forderungen?
Ich hoffe natürlich, dass es Unterstützung für alle Selbstständigerwerbenden gibt, da die meisten nur schlecht abgesichert sind. Es gibt viele Leute,  die kein Polster haben und darum hoffe ich auf eine rasch umsetzbare Lösung.

Was möchtest du den Leuten mitteilen?
Ich möchte appellieren, die Massnahmen des Bundes umzusetzen. Es ist für alle unangenehm. Der schnellste Weg, diese Krise zu überwinden, ist meiner Meinung nach, sich an die Vorschriften zu halten.

«Wir haben jetzt die Gelegenheit, die Zeit zu nutzen und uns Gedanken über uns selbst zu machen.»

Hallo Mattia. Wer bist du und was ist dein Beruf?
Ich bin Mattia Ferrari, 23 Jahre alt und freischaffender Schlagzeuger. Ich bin vor allem unterwegs mit der Band Mama Jefferson, stehe aber für viele Schweizer Künstler auf der Bühne und im Studio. Dazu arbeite ich zu 30 Prozent in einer Primarschule, wodurch ich einen kleinen Fixlohn habe.

Du bist also ziemlich heftig von den Massnahmen betroffen.
Ja. Ich habe mir viel Gedanken über meinen Job gemacht und war so weitsichtig, mir ein Polster anzulegen. Es kann viele Gründe dafür geben, dass ich nicht mehr spielen kann. Diesen Fall hat natürlich niemand erwartet. Grosse Angst davor habe ich aber nicht. Ich finde es auch eine extrem spannende Zeit, da man viel über die Gesellschaft lernt und man sieht, wie fragil unser gesamtes System ist.

Da bin ich einverstanden. Wie findest du das Vorgehen der Politik?
Ich finde, die Politik handelt sehr gut. Man muss sich bei diesen Massnahmen allerdings bewusst sein, dass es enorme soziale Unruhen gibt. Leute überwachen sich gegenseitig und schwärzen sich an. Ich finde das beängstigender als das Virus an sich. Es gehen viele falsche Fakten um, niemand weiss wirklich, wohin sich das alles bewegt und wie lange es dauert. Wer weiss, was das für Auswirkungen auf die Psyche haben kann.

Du bist aber grundsätzlich einverstanden mit den verordneten Massnahmen?
Ja. Alle müssen irgendwo zurückstecken und als Selbständigerwerbender muss man sich von Anfang an über die Finanzen Gedanken machen. Man muss auf Ausfälle vorbereitet sein. Ich kenne Leute, die keine zwei Wochen überleben, ohne dass Geld reinkommt. Das ist naiv und kurzsichtig.

Überbrückst du deine Ausfälle vollumfänglich mit einem Polster?
Ich habe mir das gut überlegt. Ein Jahr lang habe ich auch nur vom Spielen alleine gelebt und dort gemerkt, dass dieses Geschäft sehr abhängig von äusseren Umständen ist. Es kann sein, dass sich eine Band plötzlich auflöst oder ich nicht mehr so aktuell als Musiker bin. Das habe ich selbst schon erlebt und man hat da keine Absicherung. Das hat mich sehr gestresst und ich wollte mir deswegen eine kleine Anstellung suchen, von der ich im Notfall leben kann. Dieser Fall ist nun eingetroffen.

Also ein zweites, sicheres Standbein, das dich nun durchbringt.
Genau. Es gibt sicher Musiker, die an einem Punkt sind, an dem sie das nicht brauchen. Es ist aber auch bei ihnen ein Spiel mit dem Feuer. Die Kunst- und Unterhaltungsbranche ist in solchen Krisen immer die erste, die leidet.

Was sind deine Forderungen an den Bund als Unterstützung für Selbstständige?
Ich fände es eine gute Gelegenheit, das Grundeinkommen zu testen. Auch wenn es gerade jetzt schwierig ist, einen Output zu generieren, der sich verkaufen lässt. Oder sich für die Gesellschaft einzusetzen. Momentan ist soziale Distanz gefragt und Musik ist etwas Gesellschaftliches, ein Kitt zwischen den Menschen. Leider sollten wir genau dies vermeiden.

Man könnte z.B. neue Songs schreiben oder ins Studio.
Studio ist schon wieder schwierig, da dort die Leute auf zu engem Raum sind. Es wäre aber spannend, aus dieser Krise etwas Positives herauszuziehen. Geld ist da und muss sowieso gezahlt werden. Wir konnten auch schon Banken retten. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mutig zu sein. Etwas auszuprobieren, das alle für undenkbar gehalten haben. In einer Krise, die ebenfalls niemand für möglich gehalten hat.

Was möchtest du der Gesellschaft mitgeben?
Habt keine Angst, auch wenn es schwierig ist. Ich spüre eine grosse Unsicherheit und Panik. Genau dies, ist was wir jetzt am wenigsten brauchen. Schaut zu euch und auf andere und nutzt die Zeit. Wir hatten so eine Situation noch nie und wir haben jetzt die Gelegenheit, die Zeit zu nutzen und uns Gedanken über uns selbst zu machen.

«Ich überbrücke zur Zeit, indem ich Equipment verkaufe und schaue, dass offene Rechnungen bezahlt werden.»

Hallo Sven. Wer bist du und was ist deine Tätigkeit?
Ich bin Sven Ferstl, 22 Jahre alt und arbeite als Tontechniker. Ich bin mit Bands auf Tour, arbeite auf Festivals und hin und wieder auch auf Generalversammlungen.

Wie bist du von den aktuellen Umständen betroffen?
Alle Veranstaltungen, an denen ich gearbeitet hätte, wurden abgesagt. Das betrifft natürlich auch mein gesamtes Einkommen, da ich selbständig bin.

Was hältst du von den vom Bund auferlegten Massnahmen? 
Ich halte sie für absolut vernünftig. Ich bin selbst kein Experte und vertraue darauf, dass die Massnahmen begründet sind und nicht leichtfertig getroffen wurden. Auch wenn’s schwierig ist.

Und wie überbrückst du deine Ausfälle?
Was zusätzlich für Schwierigkeiten sorgt ist, dass Januar und Februar die einkommensschwächsten Monate sind. Darauf ist man vorbereitet. Man rechnet allerdings damit, dass es im März wieder anzieht. Das ist jetzt nicht der Fall und eine schwierige Situation. Ich überbrücke das zur Zeit, indem ich Equipment verkaufe und schaue, dass offene Rechnungen bezahlt werden. Das Problem ist hierbei aber, dass die Schuldner momentan selbst Geldprobleme haben. Ich sehe das momentan also auch als aufgezwungene, unbezahlte Ferien und versuche, das Beste aus der Situation zu machen.

Was verbringst du deine freie Zeit?
Ich versuche mir einen gesunden Lebensstil anzugewöhnen. Ich stehe früh auf, mache viel Sport und gehe viel raus. Weiter achte ich mehr auf eine gesunde Ernährung und lasse mir Zeit beim Kochen und Essen. Grundsätzlich versuche ich, die Situation so gut es geht zu geniessen.

Du hast also momentan noch genug Reserven, um ohne eine zusätzliche Arbeit durchzukommen?
Die Reserven sind knapp und das Ende absehbar. Zwischenzeitlich eine Arbeit zu suchen ist eine Option. Das fällt einem aber nicht leicht.

Ist deine Hoffnung, dass bald wieder Veranstaltungen stattfinden und du deiner eigentlichen Arbeit nachgehen kannst?
Jein. Ich rechne damit, dass auch nach April nicht einfach die Normalität zurückkehrt. Es ist mehr die Hoffnung, dass sich mir eine Möglichkeit auftut, in der ich mich entfalten kann und nicht eine Arbeit machen muss, in der ich mich nicht wohl fühle. Ich erwarte auch mit grosser Spannung die nächsten Ankündigungen des Bundes.

Was sind deine Erwartungen oder Forderungen?
Ich erwarte ähnliche Unterstützung, wie sie Arbeitnehmer zur Zeit erhalten. Auch ich zahle in die Kasse ein und erwarte, dass für mich und andere Selbstständigerwerbende Geld zur Verfügung steht.

Gibt es etwas, das du der Gesellschaft mitgeben willst?
Versucht, das beste daraus zu machen. Ich fühle mich trotz der tragischen Situation gut, da ich mir jetzt die Zeit für Dinge nehmen kann, die sonst untergegangen sind. Seht es nicht nur als Krise, sondern auch als Chance.

«Die Konsequenzen wären schlimmer, wenn keine Vorkehrungen getroffen würden.»

Hallo Anisa. Wer bist du und was machst du beruflich?
Ich bin Anisa Djojoatmodjo und als Musikerin tätig. Meine Hauptband ist Ikan Hyu, spiele aber auch in anderen Bands wie z.B. bei Ella Ronen. Ich gebe als Selbstständige auch Gitarrenunterricht im Ark Guitar Shop in Wetzikon und gebe Bandworkshops und Kurse an der Musikschule Prova und der Zürcher Hochschule der Künste.

Du bist also in vollem Umfang betroffen von den Massnahmen. Findest du diese gerechtfertigt?
Ja, auch wenn sie viele hart treffen. Die Konsequenzen wären schlimmer, wenn keine Vorkehrungen getroffen würden. Wir müssen die Überlastung der Spitäler verhindern, darum halte ich die Massnahmen für gerechtfertigt.

Hast du einen Plan, um deine Ausfälle überbrücken zu können?
Ja. Einerseits brauche ich wenig um zu Leben, andererseits habe ich noch ein Polster. Zusätzlich ist die SUISA noch aktiv und zahlt Gelder für Urheberrechtsinhaber aus. Sollte es knapp werden, werde ich auf Online-Unterricht umstellen. Je nachdem, wie lange die ganze Situation dauert.

Möchten das deine Schüler*innen?
Eine Schülerin hat mir schon zugesagt. Bei den Kindern habe ich noch nicht nachgefragt, kann mir aber auch vorstellen, dass die Eltern froh sind, wenn die Kinder beschäftigt sind.

Was stellst du mit deiner dazugewonnenen Zeit an?
Wir sind mit Ikan Hyu gerade im Songwriting-Prozess, langweilig wird es uns also sicher nicht. Wir sind viel am Texten und Designen. Wir kreieren gerade viel Output und haben jetzt genug Zeit, um uns auch um die ganze organisatorische Arbeit kümmern. Da ich gerade keine Konzerte spiele, habe ich auch meine Gitarre auseinandergenommen und werde sie neu lackieren.

Ist es auch eine Entlastung für euch, gerade keine Konzerte zu spielen?
Ja, da man jetzt genug Zeit hat, sich um Dinge zu kümmern, die sonst eher hinten anstehen. Auch wenn es gerade nicht rosig aussieht, versuche ich immer, etwas Positives darin zu sehen.

Was sind deine Forderungen an den Bund?
Ich erwarte, dass es einen Betrag für Selbständigen geben wird. Auch für kleine Geschäfte, die bisher nicht von den zugesprochenen Geldern betroffen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nichts passieren wird. Zu viele wären betroffen und könnten sich nicht halten.

Möchtest du den Menschen etwas mitgeben?
Das schöne an der Krise ist, dass sich viele Menschen im sozialen näher kommen. Es gibt zahlreiche Nachbarschaftshilfeaktionen, viele kommen mit neuen Menschen in Kontakt. Ich hoffe, dass diese Stimmung auch nach der Krise beibehalten wird.


Der Bundesrat hält seine Versprechen.

Am Freitag nach unseren Interviews gab der Bund ein neues Hilfspaket bekannt. 32 Milliarden Franken kamen zu den bisherig bewilligten 10 Milliarden dazu. Neben der Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigungen und Liquiditätshilfen werden auch Massnahmen für betroffene Selbständigerwerbende aufgelistet. Die Entschädigungen werden als Taggeld ausgerichtet. Dieses beträgt 80 Prozent des Einkommens und höchstens 196 Franken pro Tag. Auch für Kulturunternehmen wurde ein Budget von 280 Millionen Franken für Soforthilfe und Ausfallsentschädigungen aufgezählt.

Die Erwartungen der Betroffenen wurden also erfüllt und die Schweizer Kulturlandschaft kann vorerst aufatmen.