Eagles of Death Metal: ein bizarrer Abend
Keine Band wurde je mit dem konfrontiert, was die Eagles of Death Metal erlebt haben. Nun schweben viele Fragen im Raum, doch keine Antworten.
Kalt, nass, grau. Es ist ein Dienstag, an dem ich lieber in der warmen Wohnung bleiben würde. Und trotzdem fahre ich durch die Abenddämmerung nach Zürich, um das Konzert der Eagles of Death Metal zu erleben. Das Komplex 457 ist ausverkauft, und die Veranstalter warnten bereits zuvor, keine Taschen mitzunehmen. Es sei mit verschärften Kontrollen zu rechnen.
Wen wundert’s. Denn der Name Eagles of Death Metal erlangte am 13. November 2015 tragische Bekanntheit, als Terroristen während ihrer Show im Pariser Bataclan den Saal stürmten und über 80 Menschen töteten.
Der Regen prasselt windgepeitscht und unablässig gegen die Windschutzscheibe, während ich mich ständig frage: Wie? Wie schafft man es, nach einer solchen Erfahrung weiter zu machen?
Der Right Wing Extremist
Also pflüge ich durch die Wassermassen und die feierabendliche Rushhour, in der Hoffnung, am Ende des Abends eine Antwort zu haben. Doch der «Baum der Erkenntnis» ist heute besonders geschützt. Gut zehn hochgewachsene Securitys, bewaffnet mit Metalldetektoren und Beharrlichkeit, durchforsten jede einzelne Tasche. Sie inspizieren sogar mein kleines Notizbuch ganz genau. Daneben stehen Angehörige des Explosive Search Team Suisse mit einem Spürhund. Vermutlich ist es das sicherste Konzert der Schweiz.
Ich bin zu früh, suche im Netz nach alten Interviews mit dem Frontmann Jesse Hughes und stosse auf ein Gespräch auf motor.de von 2013. «Obama ist ein Schwanzlutscher» steht da. Oder «Ich bin ein right wing extremist». Nun passen seine Aussagen vor kurzem ins Gesamtbild: Hughes forderte in einem TV-Interview lockerere Waffengesetze in Europa. Was für den Amerikaner Selbstverständlichkeit ist, war hier in Europa ein Affront.
Waffennarr Hughes hält Widersprüche aus, denn während er für Schiesseisen lobbyiert, wird vor dem Komplex minuziös gefilzt. Aber das macht auch den zahllosen Besuchern nichts aus: bärtige Rednecks, düstere Rocker, und sicher einige Schaulustige, die vor Paris noch keine Note der Band gehört haben.
Höllerfeuer und Donnergrollen
Schlag halb Acht nimmt der Abend seinen Lauf. Sinner Sinners lassen ihren bissigen Horror Punk von der Leine. Die Blechkisten am Merchandise-Stand scheppern. Mangelnden Einsatz kann man dieser Band definitiv nicht vorwerfen. Allerdings passen die Musiker, die aus allen Rohren frevelhaftes Höllenfeuer spucken, eher in einen düsteren Kellerclub. Ich bin zwar stocknüchtern, doch irgendwie nehme ich die Musik nicht voll wahr. Ich genehmige mir ein Bier. Mit jedem Song, den die Sünder in ihrer musikalischen Raserei spielen, gefallen sie mir besser. Als sie die Bühne verlassen, stehen draussen immer noch Hunderte an.
Dann donnert es. White Miles, ein deutsches Hardrock-Duo, übernimmt die Bühne. Man glaubt es kaum, dass diese wuchtige Soundwand von zwei Menschen erzeugt wird. Allerdings flachen die Songs immer mehr ab, obwohl die fabelhafte Stimme des Sinéad O’Connor-Lookalikes für eine Erfrischung sorgt.
Währenddessen schreitet Hughes immer mal wieder, begleitet von einem breiten Bodyguard, durch die stetig wachsende Menge. Volks-… Verzeihung, Publikumsnähe wird propagiert. Ein Zeichen gesetzt: Nein, ich habe keine Angst.
Nicola, der Fotograf vom Dienst, steht immer noch draussen an. «150 Meter von beiden Seiten», meint er etwas nervös am Telefon und befürchtet, das Fotografenmeeting zu verpassen. Olli an der Kasse beruhigt: «Sie spielen erst um halb Zehn.»
American Entertainment
Der Saal ist rappelvoll. Es riecht nach Frittier-Öl, Bier und Schweiss – Redneck’s Paradise.
Nicola hat es rechtzeitig rein geschafft. Die Barkeeper haben einen anstrengenden Abend. Atemlos zapfen sie Gerstensaft, drehen Flaschen auf, kassieren ein. Das Publikum ist bei Laune. Nur wenige sprechen über den Anschlag. «Es kann immer was passieren», sagt einer. Es wird heisser und stickiger.
Dann gehen die Lichter aus und euphorischer Jubel bricht aus. Nach dem Intro stehen die Eagles of Death Metal gut eine Minute einfach da, lassen sich feiern, ohne nur eine Saite angeschlagen zu haben.
Aber so zuwider mir Hughes Aussagen und Ansichten auch sein mögen – wenn die Eagles of Death Metal loslegen, dann richtig. Vor allem sind sie unterhaltsam. Hughes alias «The Devil» hoppelt hin und her, macht den Kaspar auf der Bühne. Das ist Entertainment, wie es nur die Amis können. Keine Sekunde entgleitet ihnen das Publikum. Sie animieren, heizen an. Es ist eine Spassband, die gekonnt und konsequent die Rock’n’Roll-Attitüde parodiert.
Die Gruppentherapie
Kurz und knapp dankt Hughes dann den Securitys für ihre Arbeit. Doch im Grunde spielen sie, als sei nichts gewesen. Das kann man auf zwei Arten interpretieren: entweder um alles zu verdrängen oder um den Terroristen nicht noch mehr Macht zu geben. Beurteilen kann ich das nicht. Vielleicht habe ich einfach etwas erwartet, das es so nicht gibt, nicht geben wird.
Und ja, man kann den Klamauk-Gockel auf der Bühne ebenso gut hassen wie lieben. Doch selbst dann bleibt Mitgefühl für das Durchlebte – etwas, das man niemandem wünscht.
Während sich die Band weiter durch die Setlist spielt, finde ich mich in einer riesigen Gruppentherapie wieder. Mit Musik als Ventil für die Ohnmacht einer scheinbar immer gefährlicheren und komplexeren Welt.
You didn’t want to scratch but then you got the itch
You only wanted Snow White but you got the witch
You know you’re always paying for the shit that’s free
It’s not easy with this complexity
Diese gemeinsame Aussprache zeigt Wirkung. Zahlreiche Leute gehen, obwohl die Band erst knapp eine Stunde gespielt hat. Müssen sie bloss zeitig nachhause? Oder haben sie etwas anderes erwartet? Wenn ja, was denn? Eine monumentale Gedenkshow?
Nein, Tribut gezollt wird heute nur in Schweiss, der von den Wänden trieft. Immerfeuchte Tropen mitten im spätwinterlichen Zürich. An der Grenze zum Unerträglichen.
Viele Puzzleteile – keines passt
Ich gönne mir einen Apfelsaft. Am Boden sitzt eine schon etwas ältere Frau in den Armen ihres Freundes. Der Kopf sinkt benebelt auf die Knie. Der Alkohol und diese unmenschliche Hitze vertragen sich nicht. Und ich trete die Heimfahrt an.
Die nächtliche Landschaft zieht mit Lichterfetzen an mir vorbei. Ich versuche mir einen Reim aus all diesen Puzzleteilen zu machen: dieser Spassband, die einer unvorstellbaren Tragik gegenübersteht und nicht entkommen kann. Diesem Mann, der zum Symbol für Unschuld wurde und auf Waffen abfährt. Irgendwie passen all diese Bruchstücke nicht zusammen. Es ist ein bizarres Gebilde. Und ich komme ohne Antwort wieder zuhause an.