Plädoyer fürs Schnauzehalten

Plädoyer fürs Schnauzehalten
Bild: Kristina Flour / Unsplash

ein Gastartikel von Luca Ghiselli

Wovon der Verfasser dieses Textes sehr wohl Fan ist, sind Konzerte. Die Energie, die von Livemusik ausgeht, ist mit keiner anderen Form von Musikkonsum zu vergleichen. Das Konzert ist gleichzeitig die reinste und rauste Form, in der Musik auftritt. Es ist ein singuläres, nicht reproduzierbares Ereignis, ein Zusammenspiel von Licht, Ton, Feeling, Gesellschaft. Je nach Künstler zwei bis drei Stunden Pause von allen sinnentleerten Belanglosigkeiten des Alltags. Die letzte grosse Bastion der (Rock)musik.

Die Besucher sind das Problem

Die Bastion ist bedroht. Und zwar in vielerlei Hinsicht. In diesem Text soll es aber nicht um die Kommerzialisierung der Musik allgemein und der Konzerte als Grossevents gehen, und auch nicht um die Festivalwelle, auf der momentan all jene besonders gerne reiten, die Sätze sagen wie «Ach, ich geh eigentlich gar nicht wegen der Musik hin». Das alles sind Faktoren, die isoliert betrachtet zwar eine Rolle spielen, aber bekämpft werden können. Das grösste Problem bei der Verteidigung des Konzerts als letzte Festung von authentischem Musikkonsum sind die Konzertbesucher selbst.

Es gibt nur noch wenige Konzerte, auf denen die Zuschauer den Eindruck erwecken, wirklich 50 bis 100 Franken bezahlt zu haben, um dort zu sein. Was am meisten stört – das peccatum originale der Konzertgänger – ist das unsägliche Geplappere. Das mag in grossen Hallen oder bei Stadionkonzerten weniger stören oder auffallen. Bei Klubkonzerten entwickelt sich das immer fortwährende Gelaber aber zu einem konstanten Lärmpegel. Diese Leute scheinen nicht begriffen zu haben, dass ein Konzert kein Stehapéro ist und jene, die dort auf der Bühne gerade Musik machen, keine Barpianisten sind, die dafür bezahlt werden, das Geplaudere des Publikums musikalisch zu begleiten.

Während eines Konzerts unentwegt und penetrant laut mit seiner Begleitung zu sprechen, ist aber nicht nur gegenüber dem Künstler respektlos. Der kriegt das im besten Fall nicht einmal mit. Im schlechtesten Fall, so geschehen beim Curse-Konzert im St. Galler Kugl vergangenen Januar, muss aber der Musiker die Zuschauer bitten, während seinen Ansprachen und Songs etwas leiser zu sein. Es mutete, um ehrlich zu sein, surreal an. Man hätte ihm zurufen wollen: «Ich schäme mich stellvertretend für alle, die quatschen.»

Ähnliches Bild im Mai im Kaufleuten bei Gov’t Mule. Ich sah mich gezwungen, wegen ständigem Gequatsche meiner Nachbarn den Platz zu wechseln, um das Konzert noch einigermassen geniessen zu können. Nicht aber, ohne ihnen gehörig die Meinung zu geigen. Nach dem Konzert haben wir uns sogar versöhnt (mir wurde gesagt, ich habe mit meinem Hinweis auf mehr Ruhe sogar Recht gehabt), trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack des Abends übrig. Meine Erfahrung zeigt: Egal ob Rap, Blues, Rock, Pop: Geredet wird in unseren Breitengraden während den Songs überall.

Konzertsaal und keine Bibliothek

Ich möchte gewiss nicht den Hüter der Konzertmoral spielen. Es soll auch nicht darum gehen, eine totale Ruhe im Sinn eines klassischen Konzerts zu erreichen. Auch ich habe wenig Lust, im Stil eines strengen Bibliothekars «Psst, nicht so laut hier drin» zu murmeln. Klar darf man laut sein an Konzerten. Aber nicht während den Songs über das verfluchte Wetter oder die Schwiegermutter reden. Wenn nach Kant die Freiheit dort endet, wo die eines anderen beginnt, sollte man zumindest während den Songs im Interesse aller seine Gespräche auf ein Minimum reduzieren. Dasselbe gilt übrigens für die ewige «Smartphone-in-die-Luft-Halterei», die zwar leise ist, aber dafür jenen hinter einem die oft schon ohnehin prekäre Sicht verdeckt.

Bei diesem Appell soll es sich also nicht um einen Knigge-Hinweis handeln, ganz im Gegenteil. Es geht um die Verteidigung des Livekonzerts. Wie soll man auch eins werden mit den Klängen, die einen da von der Bühne erreichen, wenn jemand neben einem oder am Ende sogar man selbst ständig in irgendwelche Gespräche verwickelt ist? Eben. So stirbt auch noch das Livekonzert einen Tod in Raten. Dass dieses aber die grosse Stärke der Musik als interkulturelles Gut ist, haben AC/DC dieses Wochenende in Zürich einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Für mehr Authentizität, für weniger Konserve.