Eisregen – Todestage

Die todbringenden Thüringer feiern mit ihrem 10. Studioalbum ein besonders historisches Jubiläum und  schaffen es nach 20 Jahren Existenz immer noch, neue Akzente zu setzen. Trotzdem verloren sie auf ihrer langen Reise des Makabren viel von ihrem morbiden Charme längst vergangener Tage.

Eisregen – Todestage

Gastbeitrag von Sandro Bucher

Seit jeher wird Eisregen auf ihren musikalischen Pfaden von zwei Konstanten begleitet, die auch bei der Jubiläumsscheibe treu an der Seite der Thüringer bleiben. Zum einen ist dies die Alliteration im Titel – Todestage. Zum anderen ist dies der immerwährende Ärger mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Auch in diesem Jahr sprengten die Behörden die Party der Dark-Metal-Band und setzten den Rotstift an – Flötenmongo musste komplett aus dem Album gestrichen werden, um einer Indizierung zu entgehen.

Als der Flötenmongo schliesslich zum Wohl der anderen Songs geopfert wurde, stand der Veröffentlichung nichts mehr im Weg; die BPjM war mit dem Thüringer Klangkreis wieder im Reinen. Ich bin es leider immer noch nicht. Was die Band auf ihrer Website als «balladeske Powernummern» anpreist, könnte der Zyniker auch als weichgespülten, trägen Einheitsmetal bezeichnen. Die von «Blast-Beat-getriebenen Highspeedssongs» als holprige Gehversuche, Electro-Elemente in den Songs unterzubringen – ein Projekt, welches auch schon in Schlangensonne (2010) und Rostrot (2011) scheiterte.

Allgemein vermisst man die Vielfalt früherer Alben, welche mit jedem neuen Werk weiter abnimmt. Während alle Songs von Krebskolonie (1998) bis heute Klassiker in der Szene sind, kann man die Hälfte der Songs auf Todestage, namentlich Höllenfahrt, Todestage, Familienbande, Mitternacht, Tot/Untot und Seele Mein getrost in die Tonne werfen. Es sei denn man steht auf repetitive Gitarrenriffs und furzende Basslines.

Die begrenzte Spielfertigkeit kaschiert Eisregen, wie seit eh und je, mit lyrischen Meisterwerken über die menschlichen Abgründe, die bis dato unerreicht bleiben. Der Sänger und Liederschreiber, Michael «Blutkehle» Roth, ist ein Meister des geschriebenen Wortes, ohne dessen formvollendeten Federschwung die Band keine Existenzberechtigung in der deutschen Metalszene hätte. Es ist eigentlich fast schon schade, dass die Texte von der breiten Masse unentdeckt bleiben, da sich diese hinter brachialen und martialischen Growls verstecken und erst beim ungefähr zwanzigsten Mal Hören in ihrer Gänze zu verstehen sind. Ausnahmslos alle Songs sind lyrisch hoch anspruchsvoll und schaffen es routiniert, mit der feinen Linie zwischen Wahnsinn und Genialität seilzuspringen. Über den Inhalt und die Relevanz gewisser Songs lässt sich jedoch streiten, was an folgendem Beispiel besonders deutlich wird.

Vorweggenommen: Sozialkritik war schon immer ein wichtiger Aspekt in den Texten von Eisregen, doch noch nie musste der so grobschlächtig, oberflächlich und plump um die Ohren gehauen werden wie in Todestage. Deutschland sucht die Superleiche beschäftigt sich, wie der Name bereits vermuten lässt, mit der Kritik an Castingshow- und Reality-TV-Formaten. Was Eisregen dazu bewog, auf dieses zu Tode kritisierte Thema nochmals einzudreschen, ist ein Geheimnis, welches Blutkehle vermutlich in sein kaltes Grab mitnehmen wird.
Der selbsternannte Meister aus Thüringen ist inzwischen etwas träge und in seinem Bewegungsapparat eingeschränkt. Zum einen liegt dies wohl an der Leine der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die sich immer enger um seinen Hals zieht, zum anderen wohl ganz einfach an seinem Alter. Das Album ist jedoch jedem Fan von deutschen, lyrisch anspruchsvollen Texten ans Herz zu legen. Diejenigen, die Eisregen noch nicht kennen, sollten die Thüringer allerdings nicht an diesem Album messen und sich erst die früheren Werke anhören.

Was die Zukunft bringen wird ist ungewiss, doch die Arbeiten an Marschmusik haben, so Eisregen, «längst begonnen»…

Release
15.11.2013

Label
Massacre Records

Line-Up
Michael ‘Blutkehle’ Roth (Gesang)
Michael ‘Bursche’ Lenz (Gitarre)
‘West’ (Bass)
Franziska ‘Franzi’ Brink (Keyboard)
Ronny ‘Yantit’ Fimmel (Schlagzeug)