Greenfield Festival 2012: Wejen die Hitze!
45 Bands und über 25’000 Rockfans gaben drei Tage lang bei schweisstreibenden Temperaturen Vollgas. Bei Musikmix quer durchs Rockbeet garantierte dies Wasserpistolenkriege und Schlangestehen.
Drei rockige Tage, kein Tropfen Regen, dafür glühende Hitze und strahlender Sonnenschein. Solch ein Wetterglück ist eine Premiere in der achtjährigen Festivalgeschichte, wie auch die Organisatoren bestätigten. U
m das heisse Wetter erträglich zu machen, zogen diese sämtliche Register: Erfrischungsstellen, engagierte Sonnenbrand-Bekämpferinnen mit kostenloser Sonnencreme und Berge von gratis Icetea-Samplings hielten die schwitzende Menge bei Laune.
Die Infrastruktur wies überdies einige Neuerungen auf wie eine komfortable Duschzone, saubere, kostenpflichtige Toiletteninseln, eine enorme Vielfalt an Party- und Barzelten und ein voll ausgerüstetes Supermarktzelt von Lidl. Lediglich die Anzahl besagter Klo-Inseln schien geschrumpft und erzeugte enorme Schlangen und Wartezeiten – ein wohl immerwährendes Problem an Openairs.
Erstaunlich viele Besucher kannten ein weiteres Problem. Ohne Ohm kein Strom und ohne diesen kein Handy. Doch halt, Handys am Openair? Schlaue Köpfe lassen elektronischen Firlefanz gleich zu Hause, die iPhoneabhängige Generation jedoch rannte einmal pro Tag zum Swisscom-Stand, um das geliebte Smartphone aufzutanken – wo käme man denn ohne stündliches und mit Foto geschmücktem Facebook-Update à la «Greenfield rockt!» hin?
Dass das Greenfield ordentlich rockte steht jedoch ausser Frage. Auf den beiden Bühnen wurde die alternative Musikkultur in all seinen Ausprägungen seit Freitagabend ohne Unterlass zelebriert. Ska- und Punkbands wie Less Than Jake und Mad Caddies gaben sich mit Metalbands wie Hatebreed und Fear Factory die Klinke in die Hand.
Letztere waren für die härtere Brigade mit Sicherheit ein Highlight, doch das sich lichtende Publikum verriet die Greenfield-Mentalität: Der Mainstream regiert und so zog es die meisten bald zur Hauptbühne. Billy Talent gehören quasi schon zum Inventar, sie spielten zum vierten Mal auf dem Greenfield. Dies lässt sich auch von einigen der zahlreichen Indie-Punk-Bands behaupten. Abgesehen von den jährlich hochkarätig auserwählten Headlinern hielt das jährliche Line-up keine grossen Überraschungen bereit, denn die Kreativität der Greenfield-Organisation hält sich in Grenzen und lässt sich am besten mit vier bekannten Ziffern beschreiben…
Was jedoch auffiel, war die geballte Ladung Mittelalter und Folk, vertreten durch Schandmaul und In Extremo. Letztere spielten (natürlich) auch nicht zum ersten Mal am Greenfield Festival. Zusammen mit Eluveitie belegten sie jedoch den Trend zu eher weicherem, melodiösem Viking- und Folk Metal, welcher für viele Eluveitie-Shirts-tragende, pickelige Computerfreaks der ideale Einstieg in die Metalszene zu sein scheint.
Der Headliner am Freitag waren die Nu Metaller von Limp Bizkit. Sie überzeugten mit starker Lichtshow und gut ausgewählter Setlist. Wer zu spät kam und das Spektakel bloss auf den Monitoren geniessen konnte, durfte sich von der auffallend interessanten und effektvollen Kameraführung beeindrucken lassen.
Aus der einstigen Ikone des Crossover, Fred Durst, wurde man nicht so ganz schlau, ob er nun zu viel oder zu wenig Marijuana geraucht hatte vor dem Konzert und dementsprechend passiv befolgte das etwas verunsicherte Publikum auch meist bloss Dursts Anweisungen mit «Jump!».
Mosh Pits blieben meist aus, dafür gab es Feuerzeugromantik bei Behind Blue Eyes. Beim Coversong zum Ende hin forderte Durst schliesslich die weibliche Partie der ersten Reihe auf die Bühne und die Party kam doch noch ins Rollen und liess den Gig anständig unanständig ausklingen.
Soundtrack of my life?
Am zweiten Konzerttag ging es mit Knüppelhartem sowie Punkigem weiter. Die brasilianischen Sepultura bestritten zusammen mit Heaven Shall Burn und In Flames das Nachmittagsprogramm auf der Hauptbühne. Das bedeutete (natürlich unaufgeforderte) Wall of Deaths und solides Mähneschütteln bei erneuten Saunatemperaturen.
Bedauerlicherweise büsste das Line-up zwei Bands ein. All Shall Perish und Darkest Hour schafften es jeweils am Samstag und Sonntag aus verkehrstechnischen Gründen nicht nach Interlaken und somit fehlten zwei Bands der harten Knüppelfraktion.
Die Erfindung des Greenfield Festivals hiess «Wasserpistole» und wurde in allen möglichen unmöglichen Varianten zum Einsatz gebracht. Wasserschlachten, Verfolgungsjagden, Security ärgern – die Spielzeuge sorgten für jede Menge Abkühlung und zeitweilen schien der soziale Altersdurchschnitt bei etwa fünf Jahren zu liegen. Was für ein Spass!
Der Soundtrack zur Jugend vieler, vieler Besucher wurde durch den samstäglichen Headliner The Offspring verkörpert. Der Auftritt der einst ausgelassenen und spassig-rotzigen Hitgiganten lief jedoch routiniert und ohne sichtlichen Enthusiasmus ab. Der Sound war gut, das Licht stimmte, jeder Ton sass.
Doch, um Die Ärzte zu zitieren, lässt sich ihre Frage «Ist das noch Punkrock?» eindeutig mit «Ich glaube nicht!» beantworten! Dafür verstanden die Headliner der Clubstage davon einiges: Pennywise zeigten, wo im Punk der Hammer hängt und können ohne schlechtes Gewissen als eigentliche Sternchen des Abends bezeichnet werden. Schade nur, dass die meisten Offspring-Fans eineinhalb Stunden auf Action seitens der Mainstage warteten.
Planet Punk
Der Sonntag stand mit den durchgeknallten Zebrahead, den Donots, Lagwagon und Rise Against im Zeichen des Punkrocks und Alternatives. Rumpelnden (Hard) Core gab es zwischendurch von Emmure oder den Black Veil Brides. Die anhaltenden 30° im Schatten und verkaterte Köpfe liessen das Publikum teils etwas schwächeln, hielt es jedoch trotzdem nicht davon ab, auch den letzten Festivaltag richtig zu geniessen. Ein gedeckter und mit genügend Sitzplätzen ausgestatteter Bereich inmitten der zahlreichen Verpflegungsstände liess ausserdem schattenspendenden Raum zum Verschnaufen um letzte Kräfte für den Abend zu sammeln.
Wenig verständnisvoll für die Erschöpfung zeigten sich die schwedischen The Hives. Auf die Fragen nach Gründen für Nicht-Tanzen an ihrem Konzert gab es für Sänger Almquist keine zufriedenstellende Antwort und er heizte das Publikum zusätzlich ordentlich auf. Ihr Erfolgsrezept: gut gekleidet jederzeit Vollgas auf der Bühne zu geben und sich dabei masslos selbst zu lobpreisen und somit auch selbst zu parodieren. Diese herrliche Durchgeknalltheit verlieh dem Tag ebenfalls die nötige Frische!
Abends, um Viertel nach acht, verriet ein roter Vorhang auf der Mainstage, dass es Zeit für den letzten Headliner des Festivals war. BelaFarinRod alias Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin!) waren dran, die Erde vom interlakener Flugplatz aus in Planet Punk zu verwandeln. Die ersehnte abendliche Abkühlung tat ihr Übriges, jeden aus dem Campingstuhl aufs Konzertgelände zu bewegen.
Die Berliner hatten eine grosse Portion ihrer unvergleichlichen Komik und Abnormalität mitgebracht, warnten jedoch augenzwinkernd vor, mit ihrer äussert niveauvollen Show das Publikum zu infantilisieren. Bei Ärzte-Fans ist dies aber gar nicht nötig. Die zahlreichen Verkleidungen (Cpt. Metal war leibhaftig vertreten!), Crowdsurfer und ein wagemutiger Fan, der vom Dach einer ToiToi-Anlage aus sein pyrotechnisches Können demonstrierte, bezeugten der Band ihre Treue.
Nebst ständigem Schlagabtausch zwischen Farin Urlaub und Bela B., welcher beide regelmässig selbst zum Lachen und aus dem Konzept brachte, liess Ersterer gerne seine noch nicht ganz perfekten Schweizerdeutsch-Kenntnisse vom Stapel wie «Häsch dini Ovo scho ghett?». Die zahlreichen Verbesserungsschreie ignorierte er gekonnt.
Daneben freute er sich an der Folgsamkeit des Publikums – liess es singen, laute und leise Laolawellen machen und weitere Herausforderungen meistern. Nebst der ganzen Unterhaltung stellten sie natürlich ihr neues Album auch mit einigen Songs vor und spielten viel gefeierte Deutschpunkhymnen wie Rebell und Junge neben ruhigeren Songs wie 1/2 Lovesong und boten so einen Querschnitt aus ihrer über 30-jährigen Bandgeschichte.
Ihr erwähnter Opener Hurra dürfte für die Besucher dieses gelungenen Festivals ausserdem die drei Tage in zwei Sätzen zusammenfassen: «Wir sind nur noch am baden gehn’ – wejen die Hitze! Und ich find es wirklich stark, dass ich das noch erleben darf!»