«Ich bin nicht der Boss. Also doch. Nun ja, vielleicht ein bisschen. Schwer zu sagen»
Tanita Tikaram ist eine irgendwie mysteriöse Künstlerin, die sich zwischen Singer-Songwriter, Pop und Jazz bewegt. Die Engländerin feierte heuer ihren 50. Geburtstag, ihr 30-Jahr-Bühnenjubiläum und eine Best-Of ohne Hits.
Tanita, dein neues Album ist eine Sammlung alter Songs, aber ohne die Hits. Ein Journalist hat die Kollektion für dich zusammengestellt. Sind das auch deine Favoriten?
Tanita Tikaram: Nein, das sind ganz allein seine Favoriten.
Hättest du die Songs auch so gewählt?
Das kann ich nicht sagen. Ich wäre völlig überfordert damit, eine solche Auswahl zu treffen. Umso dankbarer bin ich, dass er sich dafür die Zeit genommen hat.
«Meine grösste Lebenserkenntnis ist die Wichtigkeit, ein Team zu bilden.»
Das Album beginnt mit einer sehr langsamen, akustischen Version von My Love. Ein leises, sanftes Lied. Findest du das passend?
Ja, ich finde die Idee spannend, ein Album so zu starten. Der Song ist sehr kraftvoll und kreiert gleich von Anfang an eine intime Atmosphäre.
Das Album trägt den Titel To Drink the Rainbow – nach einem der Songs. Hast du da mitgeredet?
Ich dachte zunächst über einen anderen Titel nach, über einen, der das Konzept des Albums beschreibt. Aber irgendwie fanden wir da nichts Passendes und letztlich setzte sich To Drink the Rainbow durch. Ich finde diese Wahl schön und stimmig fürs Album.
Weshalb?
Der Song dreht sich um Dinge, die man im Leben erreichen will. Und irgendwie ist das Album ja ein Rückblick auf Dinge, die ich erreicht habe.
Du bist dieses Jahr 50 geworden und hast dein 30-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Wie fühlt sich das an?
Mir ging es wie vielen anderen, wenn sie 50 werden. Man hält inne, atmet tief ein und aus und schaut zurück. Dann denkt man: Eine lange Zeit ist vergangen. Und schliesslich fragt man sich: Bin ich weiser geworden? Bin ich im Leben vorwärts gekommen?
Bist du weiser geworden?
Ja. Ein bisschen schon.
Was ist deine bedeutsamste Erkenntnis aus den 30 Jahren im Musikgeschäft?
Die Wichtigkeit, ein Team zu bilden.
Was meinst du damit?
Ich startete als Solo-Künstlerin. Andere Musiker kamen dazu, um meine Songs zu vervollständigen, aber das waren keine langfristigen Zusammenarbeiten. Jeder versuchte sich innerhalb dieser Songs selber zu verwirklichen. Für meine Musik und mein Wohlbefinden war das nicht gut. Wenn jeder für sich arbeitet, steht jeder auf seiner eigenen Seite. Ein gutes Team besteht hingegen aus Menschen, die alle auf derselben Seite stehen, die ihr Ego zurücknehmen, die einander respektieren. Ein Bandgefüge aufzubauen, war für mich eine enorme Lernkurve.
«Technisches Können allein ist wertlos.»
Das heisst: Eines Musikers Persönlichkeit und sein Passen ins Gefüge ist wichtiger als seine technischen Qualitäten?
Das ist richtig. Natürlich muss ein Musiker auch technische Qualitäten mitbringen. Aber Musik beginnt zu leben, wenn die anderen Punkte erfüllt sind. Technisches Können allein ist wertlos.
Deine Band ist aber nach dir benannt, also bist du der Boss.
Nein. Ich bin nicht der Boss. Also doch. Nun ja, vielleicht ein bisschen. Schwer zu sagen.
Was jetzt?
Ich arbeite auch mit einem musikalischen Direktor. Aber es stimmt: Wenn definitiver Entscheid nötig ist, welche Variante eines Songs wir weiterverfolgen, dann fälle ich ihn im Zweifelsfall. Aber als Boss würde ich mich trotzdem nicht wirklich bezeichnen.
Als Primus interpares?
Nein. Meine Band ist kein britisches Kabinett. Unsere Band hat keine geregelte Hierarchie.
Wie sehr musst du deine Kompositionen loslassen, wenn du sie in die Band gibst?
Gute Frage. Nach Loslassen fühlt sich das eigentlich nicht an. Die anderen Musiker ergänzen die Songs, geben ihre eigenen Persönlichkeiten hinein. Dadurch wachsen die Lieder. Es ist kein Weggeben. Ich arbeite auch schon lange mit meiner Band zusammen. Wenn wir einen Song einstudieren, dann ist das ein sehr natürlicher Prozess. Die nackte Komposition braucht die anderen Instrumentalisten. Sie ist intuitiv so komponiert.
Denkst du also an spezifische Musiker, während du Songs schreibst?
Oh ja, die ganze Zeit. Das ist auch so ein Unterschied zu früher. Ich lechze danach, mit anderen zusammenzuarbeiten. Früher war das nicht der Fall. Das galt ganz generell für die Musikszene der 1980er Jahre. Leute arbeiteten für sich. Heute ist das anders. Da arbeitet jeder mit jedem.
Weshalb ist das so?
Bist du ein Musikszeni? Ich bin keiner. Ich kann’s nicht sagen. Du weisst das vermutlich besser.
Nein, überhaupt nicht. Findest du das gut, dass das alle tun?
Vermutlich ist es schon gut für die musikalische Entwicklung der Künstler. Umgekehrt frage ich mich, ob da nicht auch viel Kommerz drinsteckt. Ich denke, es ist ein bisschen beides. Wenn man das nur wegen des Geldes macht, ist es nicht gut.
«Du musst halt kommen, dann wird alles enthüllt.»
2016 ist dein letztes Album mit neuen Songs herausgekommen. Jetzt liegt diese Songsammlung aus alten Zeiten vor. Wann kommt etwas wirklich Neues?
Ich arbeite an einem neuen Album, das nächstes Jahr erscheinen soll.
Kannst du schon etwas dazu sagen – musikalisch oder inhaltlich?
Ich werde zwei der Songs an meinem Konzert in Zürich spielen. Du musst halt kommen, dann enthülle ich alles.
Zu dieser Tour: Dreht sie sich um die neue Songkollektion oder spielt ihr auch deine grossen Hits?
Das aktuelle Album ist nicht der Aufhänger des Konzerts. Die Show wird Lieder von der Vergangenheit bis zur Gegenwart enthalten, auch die Hits. Und ein paar lustige Songs. Und eben die beiden vom bevorstehenden Album. Eine hübsche Mischung.