«Tiefkultur ist, wenn jemand mit Talent den Weg des geringsten Widerstands geht»

Im Rahmen des M4Music 2015 haben wir Michael von der Heide für ein spontanes Interview getroffen. Ein Gespräch über Hoch- und Tiefkultur, Gratismedien und brennende Häuser.

«Tiefkultur ist, wenn jemand mit Talent den Weg des geringsten Widerstands geht»

Wir haben gehört, dass du gerne ein Duett mit Kim Wilde machen willst. 

Also das hast du ganz frech mitgehört, als ich vorhin mit Freunden darüber geredet habe.

War das ein Scherz oder ein ernstzunehmendes Projekt?

Nein, nein. Das war kein Scherz. Aber es ist nicht gut darüber zu sprechen, wenn es noch nicht im Kasten ist.

Wieso bist du denn heute am M4Music? 

Ich gehöre ja fast schon zur Familie. Mein erstes Management hat das Festival mitgegründet. Deshalb bin ich an der ersten Ausgabe auch aufgetreten. Ich bin quasi der Grossvater vom M4Music.

Hat dir das M4Music geholfen im Bezug auf den Erfolg?

Nein, das kann ich so nicht sagen. Wichtig ist, dass es verschiedene Auftrittsmöglichkeiten gibt und nicht nur eine. Damals war das M4Music noch ganz klein, noch nicht so etabliert. Nichtsdestotrotz ist es ein wichtiges Festival und es freut mich, dass es schon so lange besteht.

Wenn wir schon in der Vergangenheit sind. Du warst immer wieder in den Medien. Nach dem ESC-Debakel 2010 wurde es still um dich. Oder trügt dieser Eindruck?

Das ist sicher nur euer Eindruck. Ich sehe ja, wie jung ihr seid. Ich hatte dank dem ESC wieder einmal grosse Medienpräsenz, doch die hatte ich auch schon 15 Jahre davor. Heute spiele ich so viel wie noch nie. Aber ich bin tatsächlich nicht in den Gratiszeitungen zu sehen.

Ist das ein begrüssenswerter Zustand, in den Gratismedien nicht präsent zu sein? 

(überlegt lange) – Ja, da bin ich froh.

Ist das nicht dein Zielpublikum? 

Das ist lustig, dass ihr mich nach dem Zielpublikum fragt. Das haben die Plattenfirmen auch immer gefragt und ich fand das damals schon ziemlich beschissen. Ich mache meine Musik. Ich bin gerade wieder im Studio um ein neues Album aufzunehmen. Aber eigentlich ist es mir egal, welche Menschen meine Musik hören. Im besten Fall keine Rechtsradikalen. Aber dieses Problem habe ich ja nicht. – (lacht)

Ich könnte ja euer Vater sein – theoretisch, biologisch. Die Gratismedien sind eben gratis, also billig. Das mag für eine neue Generation das Richtige sein, aber für mich nicht. Ich bin froh, dass ich nicht auf sieben Zeilen das Leben und meine Kunst erklären muss.

Meinst du nicht, dass du mit deiner Musik Rechtsradikale umstimmen könntest?

Ach, ich war eigentlich schon immer ein politischer Sänger. Ich bin einer der wenigen offen schwulen Sänger in diesem Land. Viel politischer geht es ja gar nicht.

Hattest du wegen dieser Offenheit Gegenwind?

Klar, schon als Jugendlicher. Auch heute noch. Aber jeder Mensch erlebt Gegenwind, wenn er sich irgendwo klar positioniert.

Was treibst du gerade so?

In zwei Wochen singe ich im «Royal Opera House» in London zehn Shows in einer Inszenierung von Christoph Marthaler, die King Size heisst. Da kommt eben Kim Wilde an die Premiere, wo ich sie vom gemeinsamen Duett überzeugen werde. – (schmunzelt)

Du machst viele Musicals…

…«Hochkultur!» Musiktheater! Ich hasse Musicals, weil jede Darstellerin und jeder Darsteller so austauschbar ist. Das ist so unpersönlich und interessiert mich überhaupt nicht.

Ich bin auch nur bei Neuinszenierungen dabei, wenn man zusammen etwas kreiert. Das ist eine schöne Arbeit. Mit King Size haben wir in Russland gespielt, man kommt rum in der Welt und trifft so viele spannende Menschen.

Was ist denn deine Aufgabe bei einer musikalischen Inszenierung?

In meinem Fall hat Christoph Marthaler etwas vollkommen Neues kreiert. Im besten Fall holt er das Beste aus dir raus. Er verlangt nichts, was ich eben nicht kann. Man arbeitet zusammen und setzt auf die eigenen Stärken. Man versucht nicht, eine Halbstärke irgendwie gross zu machen.

Du hast die Hochkultur erwähnt. Was ist denn für dich Tiefkultur?

Also das mit der Hochkultur war natürlich ironisch gemeint. Das Wort «Tiefkultur» gibt es ja gar nicht, aber ich sage es trotzdem gerne. Die einfache Unterhaltung wird so bezeichnet. Aber meistens arbeiten jene, die diese Kunst machen, ebenfalls viel dafür. Tiefkultur ist für mich, wenn jemand mit viel Talent den Weg des geringsten Widerstands geht. Das ist ein Selbstverrat am künstlerischen Ich.

Und du bist im Studio. 

Ja, nach den Sommerferien kommt mein neues Album.

Was darf man vom neuen Album erwarten?

Alles.

Ist es ein typisches von der Heide-Album oder experimentierst du auch, etwa mit Punk?

Ich habe vor vielen, vielen Jahren tatsächlich mal ein Album mit Nina Hagen, der Godmother of Punk, aufgenommen. Da wart ihr noch Kinder, na gut, ihr seid ja heute noch Kinder…

Aber nein, ein Punk-Album mache ich natürlich nicht, weil das einfach nicht stimmt. Aber auch kein Schlager-Album. Die neue Scheibe kommt in meinem Stil daher, etwas Jazz, Chanson – gehobene Unterhaltungsmusik.

Wieso machst du keine revolutionäre Musik im Stil von «Wir brennen alle Hütten ab»?

Fändest du das nicht etwas peinlich? Du hast mir vorher erzählt, dass deine Mutter meine Musik hört. Stell’ dir vor, deine Mutter würde auf die Strasse stehen und rufen: «Brennt diese Häuser nieder!»

Das sollen doch die jungen Menschen machen. Ich finde schon auch, fackelt diesen Scheiss ab. Eigentlich, wenn man bei mir genau hinhört, würde man es hören.

Was wäre deine Utopie, wenn alles abgefackelt ist?

Ich bin auch ein Hippie. Das hört man in meinen Texten. Ich bin für die Liebe und dass wir uns alle in Frieden lassen. Aber wie du sagst, es ist eine Utopie. Ich glaube leider nicht mehr dran.