«Worte sind für mich nicht relevant»
Viele Kritiker preisen Julia Holter für ihre komplexen Kompositionen. Andere werfen der US-Amerikanerin indes vor, sie mache ihre Musik nur für die Kritiker. Vor ihrem Konzert in Zürich schildert sie im Interview ihren Umgang mit Kritiken und ihre Herangehensweise ans neue Album.
Julia Holter, dein aktuelles Album heisst Aviary (zu Deutsch: Voliere). Hast du an Vögel gedacht, als du die Songs komponiertest?
Nein. Ich hatte gar kein Konzept im Kopf, als ich zu komponieren begann. Erst als das ganze Album aufgenommen war, überlegte ich mir, welcher Titel dazu passen würde. Aviary schien der richtige Begriff zu sein, um diese Songs zusammenzuhalten.
Schriebst du alle Lieder in kurzer Zeit?
Ja, eigentlich schon. So über anderthalb Jahre verteilt. Sie kommen alle aus derselben Lebensphase.
Dann gabs vielleicht doch eine Art Konzept, du wusstest es beim Komponieren einfach nicht?
Ja, so gesehen gab es ein Konzept. Die entstandenen Songs erinnern mich tatsächlich etwas an Vögel. Vielleicht gibt’s immer ein unbewusstes Konzept, wenn man ein Album schreibt.
Ich brauche beim Songwriting Ruhe und Einsamkeit.
— Julia Holter
Eine Voliere ist eigentlich ein Gefängnis, du scheinst in deinen Songs aber möglichst viele musikalisch-strukturelle Korsette abschütteln zu wollen. Wie bekommst du deinen Kopf frei von Dingen wie Songstruktur, Melodievariation, teils gar Takt oder Rhythmus?
Ich überlege mir nicht aktiv, wie ich einen Song komponieren soll. Ich tue es einfach. Ob das Resultat musikalischen Normen entspricht oder nicht, interessiert mich dabei nicht. Aber um deine Frage zu beantworten: Ich brauche beim Songwriting Ruhe und Einsamkeit. So kommen die besten Songs heraus.
Kannst du nicht mit anderen Menschen schreiben?
Doch. Habe ich auch schon getan. Aber ich bevorzuge es, alleine zu schreiben.
Du bist der Liebling vieler Kritiker. Andererseits wird dir teils vorgeworfen, du würdest für die Kritiker komponieren, nicht fürs Publikum.
Ich weiss, dass mir das vorgeworfen wird. Aber die Wahrheit ist: ich schreibe, ohne mir zu überlegen, was andere wollen. Weder Kritiker noch Publikum. Ich schreibe für mich und für die Musik. Ich habe auch keine Ahnung, was die Leute da draussen wollen könnten.
Liest du die Kritiken über deine Alben?
Ich versuche das zu vermeiden.
Weshalb?
Kritiken werden nicht für die Musiker verfasst, die kritisiert werden. Solcherlei zu lesen, bringt mir nichts. Ich kann ohnehin nur genau das tun, was ich tun kann. Und ich will mich nicht von Kritiken beeinflussen lassen, Dinge zu tun, die ich sonst nicht tun würde.
Stören dich teils Dinge, die über dich geschrieben oder in deine Musik hineingedeutet werden?
Ich richte meine Gedanken ausschliesslich auf meine Musik. Ich habe kein Interesse daran, anderer Menschen Meinung über mich oder meine Kompositionen zu widersprechen. Abgesehen davon weiss ich oftmals selber nicht, was meine Musik genau bedeuten soll. Ich baue keine Botschaften ein, ich verfolge keine spezifischen Absichten. Ich will nichts ausdrücken ausser den Moment, in dem der Song entsteht. Die Worte sind dabei für mich nicht relevant. Sie sind ein Teil der Textur des Songs, aber nicht mehr. Die Musik ist mir wichtiger.
Die Kompositionen sind Bilder und die Texte sind ein Teil davon.
— Julia Holter
Das ist also alles völlig zufällig und nicht-intellektuell, was du tust?
Es ist intuitiv, aber nicht unbedingt zufällig und auch nicht gedankenlos. Ich arbeite sehr intensiv an meinen Songs, vertiefe mich in sie. Ich denke über die Melodien, die Sounds nach, ich spiele lange mit den Worten herum, bis ich sie definitiv wähle. Aber ich messe den Worten keine lyrische, inhaltliche Bedeutung zu. Die Kompositionen sind Bilder und die Texte sind ein Teil davon. Wobei das für das aktuelle Album gilt. Der Vorgänger hatte ein klares Narrativ, da ging ich anders vor.
Weshalb hast du denn die Texte im Booklet der neuen Platte niedergeschrieben?
Da geht es mir lediglich um Transparenz. Ich singe sehr undeutlich, verschlucke Silben und so. Deshalb denke ich mir: Wenn jemand wissen will, was ich da genau singe, dann soll das möglich sein.
Hattest du musikalische Inspirationsquellen für Aviary?
Am meisten beeinflusst hat mich Alice Coltranes Album Universal Consciousness. Ich habe beim Komponieren ab und zu festgestellt, dass Ideen von ihr in meine Songs eingeflossen sind. Ich habe auch viel Tim Hecker gehört. Den höre ich auch aktuell sehr intensiv.
Fliesst er in deine neuen Songs ein?
Wer weiss. Ich bin an ein paar Sachen dran, aber momentan toure ich nonstop. In diesen Phasen kann ich fast nicht schreiben. Ich brauche mindestens zwei Wochen Pause am Stück, um wieder kreativ sein zu können.
Du hast mehr oder weniger die Band auf der Tour dabei, mit der du auch Aviary aufgenommen hast. Spielst du noch andere Songs als vom neuen Album?
Momentan eigentlich nur Aviary und den Vorgänger Have you in my Wilderness. Wir wollen aber in dieser Formation bald mal noch ein paar ältere Sachen einstudieren. Bislang fehlte uns die Zeit dazu. Aber vielleicht reichts für Zürich.
Was habt ihr eigentlich alles für Instrumente dabei?
Trompete, Violine, Perkussion, Synthesizer, Dudelsack.
Wie kommst du auf diese Klänge?
Ich wähle nicht die Klänge aus, sondern die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten will. Die bringen dann einfach ihre Instrumente mit und machen aus den Songs, was sich mit ihren Möglichkeiten anbietet.
Wird das live ganz anders als auf dem Album?
Das wird live praktisch wie im Original klingen – aber sicherlich etwas üppiger. Unsere Shows sind wirklich voller sehr schöner, sphärisch-verträumter Live-Momente.
Julia Holter am Dienstag, 25. Juni, 20 Uhr, im Kaufleuten Zürich