Keane im Ozean des Ultra-Pops
Nach jahrelanger Pause spielen Keane erstmals wieder in Zürich. Von der Dramatik der letzten Jahre ist kaum etwas zu spüren – das Set wirkt recht gleichförmig und lieblich.
Dass Keane samt Sänger Tom Chaplin am Freitagabend in der Halle 622 in Oerlikon vor Hunderten von Fans steht, gleicht einem kleinen Wunder. Denn in einer Nacht vor etwa fünf Jahren starb Chaplin fast an den Auswirkungen seines exzessiven Drogenkonsums.
Auch wenn das wahre Genie hinter den Keane-Songs Keyboarder Tim Rice-Oxley ist, so kann sich ein Fan das Britpop-Ensemble ohne Chaplins engelhaftes Organ kaum vorstellen. Und das Wissen um die dunkle Geschichte der letzten Jahre verleiht Chaplins stimmlicher Reinheit einen bewegenden emotionalen Kontrast, der vor allem in den Balladen zum Tragen kommt.
Etwas gar naheliegender Start
Die Band hat mit Cause and Effect ein relativ neues Album am Start, das sie derzeit betourt. Mit dem ersten Song, You’re not home, eröffnet Keane die Show – es ist der übliche, naheliegende Konzertbeginn einer albumorientierten Band. Und damit auch ein bisschen langweilig.
Dagegen kämpfen die Musiker auch nicht an. So schwankt die «Band ohne Gitarre» zwischen Erwartbarem und kleinen Pointen. Fürs Publikum sind die Songs des ersten Albums Hopes & Fears die Highlights, weil es diese offensichtlich am besten kennt.
Die Kraft der Balladen
Musikalisch sind die grossen Momente indes Balladen wie Strange Room oder She has no Time und schliesslich auch Try Again, das Chaplin und Rice-Oxley zu zweit interpretieren. In diesen Songs kommt die melodiöse Kraft der Kompositionen, kombiniert mit Chaplins glasklarer und unfassbar präziser Intonation, am stärksten zum Tragen – diese Kombination zeichnet Keane im Grunde aus.
Viele der anderen Songs, wenngleich aus über 15 Jahren Bandgeschichte und von fünf Alben, verschwimmen zu Gleichförmigkeit. Die Dynamik des Sounds verändert sich minimal, die Grooves sind meist schleppend, die Melodien hübsch, aber nicht umwerfend, weil ihnen die Überraschungsmomente, Brüche oder Ecken und Kanten fehlen.
Dazu kommen die stets dominierenden Piano- und Synth-Teppiche, die dazu führen, dass sich Keane zuweilen anhört, als würde ein Boygroup-Sänger die schwächsten Elton-John-Songs trällern. Doch das ist eben nur die eine Seite.
Auf der anderen stehen nebst den Balladen die Kracher vom zweiten Album Under The Iron Sea, in denen Rice-Oxley einen verzerrten, der E-Gitarre nachempfundenen Keyboardsound einsetzt und die allein wegen dieser Klangwahl wie kleine rockige Inseln aus dem Pop-Ozean auftauchen. Höhepunkt ist A Bad Dream, das zwar schleppend balladesk startet, dann aber zweimal in psychedelisch irrwitzige Instrumentalparts übergeht, die völlig aus dem Keane-Rahmen fallen.
Erwähnenswert ist zudem Spiralling, der einzige Song, den Keane vom Album Perfect Symmetry bringt. Das Album war den Fans mit seiner New-Wave-Tonalität und den dominierenden Elektroelementen zu experimentell und generierte keine echten Hits. Dafür fällt Spiralling im ultrapoppigen Set plötzlich positiv auf – ein Duran-Duran-Moment.
Schön ist das, was Keane in Zürich präsentieren, allemal. Alleine schon wegen Tom Chaplins unglaublicher stimmlicher Reichweite und der fast schon knabenchormässigen Klangfarbe. Seine dunklen Seiten gibt der Sänger dabei aber kaum preis. Nur einmal, als er Strange Room ankündigt, erhascht man eine Spur dieser inneren Kämpfe. Den Song habe er intuitiv als die schönste Komposition auf dem neuen Album empfunden, sagt er. Vermutlich, weil es darin ums Verlorensein gehe, um eine Person, die selbst nicht in der Lage sei, einen Weg im eigenen Leben zu sehen.