Liegt die Schwarze Szene im Sterben?
In letzter Zeit häuften sich die Hiobsbotschaften für die Gothic- und Wave-Kultur der Schweiz. Clubs sterben, Veranstaltungen verschwinden und Geschäfte schliessen. Sinkt die Szene wieder mehr in ins Grab?
Schon seit längerer Zeit war bekannt, dass der Zürcher Club abart seine Pforten schliessen würde. Der Club war seit jeher eine wichtige Räumlichkeit für Konzerte und Parties der Szene. Ein Ort mit Beständigkeit an guter Musik abseits des Mainstreams. In den letzten Monaten und Wochen nahm die Anzahl an schlechten Nachrichten für die Szenegänger weiter zu.
Einer nach dem anderen
Die ehemalige Soho-Factory, jetzt unter dem Namen Towndown bekannt, an der Hafnerstrasse in Zürich befindet sich seit Dezember 2012 im Liquidationsverkauf. Wurde die riesige Ladenfläche von über 700 Quadratmeter zum finanziellen Debakel? Auf eine Anfrage von Negative White folgte von Geschäftsführer Alfred Kenel keine Stellungnahme.
Auf bkl.ch findet sich folgender Satz: «Aufgrund widrigster Umstände musste nun die Total-Liquidation des gesamten Sortiments eingeleitet werden.» Die widrigen Umstände ist eine Kündigung der Räumlichkeiten aufgrund einer Umnutzung, wie Simon Kunz von der Bernhard Kunz Liquidator AG gegenüber Negative White erklärt.
Ebenfalls im Dezember kündigte die Nach(t)brand – eine Metal- und Gothic-Bar – an, dass der sonntägliche Barbetrieb im Werk21 nicht mehr stattfinden würde. Ein grosses Abschlussfest fand am 19. Januar 2013 statt. Neben fehlender Zeit der Organisatoren spielte wohl auch der geplante Umbau des Jugendkulturhauses Dynamo/Werk21 beim Platzspitz eine Rolle.
Am 5. Januar teilte das Bekleidungsgeschäft Dress In Black auf Facebook mit, dass der Laden im Zürcher Niederdorf, Scheitergasse 5 geschlossen wird. Am 26. Januar 2013 war der letzte Verkaufstag.
Das Met- und Deko-Geschäft Bonesklinic, das sich hehrer Beliebtheit und Bekanntheit erfreute, schliesst ebenfalls Ende Januar. Immerhin: Der Geschäftsführer Markus Schaad hat sich zu diesem Schritt entschlossen, um einem neuen Projekt Platz zu machen.
Auch der Verein Schwarze Schweiz hatte Probleme. Die Zukunft des Vereins, der früher gemeinnützige Arbeiten wie «Fötzeln» organisiert und sich um das Image der Szene gekümmert hat, war in vergangener Zeit eher unsicher. Ob die Community mit dem Forum trotz Sozialen Netzwerken noch ihre Berechtigung hat, ist eine essentielle Frage.
Doch nach einem Jahr mit vielen personellen Wechseln scheint nun wieder etwas Stabilität gewährleistet zu sein. Die Veranstaltungen des Vereins waren dennoch gut besucht, auch weil sie stets eigenständig und innovativ waren. Dieses Jahr will der Verein durch Werbung wieder vermehrt auf sich aufmerksam machen.
Die Schuldfrage
Eine Ursache für den tendenziellen Niedergang der Modegeschäfte könnte in den Preisen zu finden sein. Das aussergewöhnliche Design vieler Kleidungsstücke rechtfertigt diese nämlich nicht vollends. Oftmals lässt die Qualität stark zu wünschen übrig. Made in China. In der Gothic-Szene sind Marken zwar nicht so wichtig, doch im Gegensatz zur Mainstream-Fashion weniger Zeichen von Qualität. Für eine Stoffhose bekäme man auch eine robuste Jeans von Levi’s.
Es fällt schnell auf, dass sich die Hiobsbotschaften im Raum Zürich konzentrieren. Handelt es sich hierbei um ein geographisches Problem? Gut möglich, dass nun in der Limmatstadt eine Dürreperiode für die dunkle Szene bevorsteht, denn dem Laden Crazy Black in Birsfelden geht es nach wie vor gut. Zwar befinde sich das Geschäft noch immer in der Aufbauphase, wie Inhaber Marcel Molliet gegenüber Negative White sagt, doch man sei mit der Entwicklung zufrieden. Immerhin stützt sich das Sortiment auf einer breiten Kundschaft ab. Man bedient nicht nur speziell die Gothic-Szene. Aber auch im Raum Basel habe letztes Jahr ein Laden dicht gemacht, berichtet Molliet weiter.
Musik im Stillstand
Bei den Konzerten fehlt oftmals die Innovation. Das ist nicht unbedingt die Schuld des Veranstalters, sondern vielmehr liegt es an der nicht vorhandenen Dynamik der Musikszene. Der Filz zwischen Musiklabels, Veranstaltern und Musikmagazinen in Deutschland ist beängstigend. So wurde beispielsweise die Rubrik «Szene Schweiz» im Orkus gestrichen, da die Redaktion keine neuen Werbepartner einbrachte. Ebenfalls werden im selben Magazin keine Künstler des Labels Danse Macabre besprochen, da sich das Label weigert, Inserate aufzugeben. Folglich werden in den Magazinen immer und immer wieder die gleichen grossen Namen präsentiert.
Konzerte haben deshalb keine Erfolgsgarantie. Im Herbst 2012 musste der Veranstalter Burning Phoenix einige Konzerte absagen – auch wegen schleppenden Vorverkäufen. Abgesehen von einem Anlass im Januar wurden noch keine Konzerte für 2013 angekündigt. Auch Noxiris, der Nachfolger vom einstigen Szeneprimus Divus Modus, hat es nicht immer leicht, die Locations zu füllen. Im vergangenen Herbst konnte man höchstens mit Subway To Sally zufrieden sein, wie Tom Fuhrer von Noxiris ausführt. Dabei bringen Noxiris vor allem jene gestandenen Namen in die Schweiz, die ständig in den Medien kursieren. Wenigstens habe das Jahr mit einem ausverkauften Konzert von In Strict Confidence und Covenant gut angefangen, meint Fuhrer weiter.
Wie schwer es ist, Konzerte mit Newcomern oder unbekannten Bands zu veranstalten, weiss Ira Monticelli von The Graveyard Scene. Zusammen mit DJ Tom-i bedienen sie das Post-Punk-Batcave-Feld und suchen momentan auf 100-days.net nach Sponsoren.
Dabei gibt es sie, die musikalischen Neuheiten. Das deutsche Label afmusic bietet frischen Sounds eine Heimat. Falk Merten, Inhaber von afmusic, sieht das Problem in der Informationsflut. Es passiere so viel, dass die Perlen einfach untergingen, gibt der Deutsche zu bedenken. Die etablierten Medien, vor allem im Printbereich, fokussierten auf gestandene Grössen, damit ihnen die Auflage nicht absäuft. Im Internet hingegen sei es umso schwieriger, die Weizen von der Spreu zu trennen, weil es ein endloses Angebot gibt. Mertens Tipp sind momentan The Soft Moon und She Past Away (beide nicht bei afmusic).
Küken und alte Hasen
Nicht unterschätzt werden dürfen die abgefallenen Früchte des Emo-Hype/Hate kurz vor Ende des letzten Jahrzehnts. Temporäre Szenengänger sind keine Seltenheit, gerade weil die Gothic-Szene mit ihrer morbiden Erscheinung Eltern zu schocken vermag und sie daher gern als Werkzeug zur Rebellion genutzt wird. Das Stammpublikum altert währenddessen. So hat The Graveyard Scene einen Versuch mit einer Kinderkrippe während ihrer Parties und Konzerte gestartet, damit die Eltern sorgenfrei feiern können. Der Nachwuchs aus Eigenproduktion reicht keinesfalls aus, um den Grufti vor dem tatsächlichen Aussterben zu bewahren. Einsteigen in den schwarzen Zug ist nicht so einfach wie es scheint. Man legt gerne Skepsis bis Arroganz an den Tag, Offenheit ist rares Gut. Wer das nicht glaubt, besucht eine Party in normalen Klamotten.
Die Szene wird aber ein möglicher Rückgang in allen Bereichen überleben. Genauso wie sie den Kommerzialisierungsversuchen standgehalten hat. Ein Rückzug in den Untergrund und DIY-Mentalität würde sie denn auch bereichern und neuen Aktivismus hervorrufen. Die Trägheit verleiht der Subkultur Scheuklappen, die abgelegt werden müssen, bevor Mut zum Neuen wachsen kann. Ein Problem, mit dem nicht nur die Gothic-Szene kämpft, denn überall fehlen Menschen, die bereit sind, freiwillige Arbeit zur kulturellen Vielfalt zu leisten.