Musik in der Nebenrolle
Muse sind bekannt für ihre spektakulären Shows. In Zürich überzeugten sie dennoch nicht. Trotz ausverkauftem Hallenstadion blieb die Stimmung eher verhalten, das Publikum schien nur bei den bekanntesten Hits mitzugehen. Weshalb es sich dennoch lohnt, Muse näher anzuschauen.
Obschon die Briten von Muse seit 25 Jahren bestehen, kann man den Bandnamen nur mit einzelnen Songs in Verbindung bringen, wenn man ihn gerade hört. Nachdem ich die ersten drei Songs noch mit der Kamera im Einsatz war und erst einmal die Ausrüstung bei der Abgabestelle deponieren musste, war ich erst beim fünften Song zurück in der Halle. Es lief gerade Uprising, als ich mich mit einem Getränk versorgte und die Verkäuferin die Augenbrauen hochziehend meinte: «Ach, DAS ist Muse!».
Spektakuläre Show, nur nicht heute Abend?
Selbstverständlich boten Muse eine unglaubliche Show, die schon fast die Sinne zu überreizen drohte. Laserstrahlen schiessen durch die Halle, neonfarbene Formen tanzen auf der Leinwand. Auf der Bühne und dem Steg ins Publikum marschieren Uniformierte mit Leuchtstäben und LED-Applikationen.
Vor lauter Effekten und Videoeinspielern bin ich mir am Ende zuerst nicht sicher, ob der gigantische Roboter eine Projektion ist oder ob der tatsächlich auf der Bühne steht. Sänger Bellamy mag extravagante Spielzeuge. Er besitzt unter anderem einen Paramotor, den man sich auf den Rücken schnallt und bis zu 10’000 Fuss in die Höhe fliegen kann – sofern man genug Sauerstoff hat. Bei ihren UK-Konzerten von 2007 wollten sie damit auf die Bühne fliegen, was jedoch aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt wurde.
Fans der ersten Stunde erinnern sich sicherlich noch zurück an die Zeit, an denen ein mysteriöser Breakdancer einmal pro Abend aus dem Nichts auf der Bühne erschien und loslegte. Noch nie davon gehört? In diesem Livevideo ist der Breakdancer – der Tourmanager Glen – kurz zu sehen.
Bei den heutigen Touren investieren sie Millionen in die Produktion, lassen riesige aufblasbare Kugeln und Drohnen über das Publikum fliegen. Das Konzert ist eindrücklich inszeniert, hat aber keine Wow-Effekte zur Folge, wenn die Darbietung konstant auf demselben hohen Level gehalten wird. Gleichzeitig vermisse ich die Präsenz der Band. Sie verschwinden fast in diesem Feuerwerk an Eindrücken. Es dauert 14 Songs, bis Matt das Wort ans Publikum richtet:
Hello Zurich. We love Switzerland. We wish the rest of Europe would be like you.
Dies ist der gefühlt einzige Satz, den man von ihnen hört. Die einzige weitere Interaktion mit den Fans ist, als Matt sich beim Song Mercy vom Steg aus ins Publikum begibt, um sich eine Schweizer Fahne zu greifen. Diese legt sich später der Drummer Dominic wie ein Cape um die Schultern. Er ist bekannt für seine Vorliebe von Cosplay und spielte ganze Gigs als Spiderman oder Gandalf. In Zürich beschränkt er sich aber auf normale Klamotten und die Fahne.
Obwohl sie eine riesige Bühne und einen Steg ins Publikum zur Verfügung haben, verlässt Frontmann Matthew Bellamy nur selten seinen Platz hinter dem Mikrofon. Die meiste Zeit steht er auf der einen Seite der Bühne und Chris Wolstenholme bewegt sich meistens nur vor dem Schlagzeuger Dominic Howard hin und her.
Von fliegenden Gitarren und andere Facts
Vielleicht hat sich dieser «Sicherheitsabstand» eingebürgert, nachdem Dominic auf früheren Touren aus Versehen von herumfliegenden Gitarren verletzt wurde? Der Frontmann schaffte es damit ins Guinness Buch der Rekorde, als er 2004 auf der Tour insgesamt 140 Gitarren zerschmetterte. Im Rahmen der «Origin of Symmetry-Tour» gönnte sich Matt diesen Spass während rund zwei Jahren, der ihn pro Show rund 180 Franken aus der eigenen Tasche kostete.
Seit frühester Kindheit spielt Matt Bellamy Piano. Ursprünglich wollte er Konzertpianist werden, entschied sich aber nach einem Konzert von Rage Against The Machine anders. Mit mit 14 Jahren lernte er Gitarre spielen. Viele seiner Gitarren wurden von Hug Manson entworfen, dessen Werkstatt in Devon beheimatet ist. Wie bei den Shows ist auch hier viel Technik verbaut worden, denn Manson integrierte revolutionäre technische Elemente wie Touchpads und Whammy-Pedale.
Selbst ihre Covers sind speziell gestaltet. Die Schatten der fliegenden Menschen auf ihrem dritten Album Absolution sind echt. Art Director Storm Thorgerson verrät aber nicht, wie dieses Foto entstand.
Seit ihrem dritten Studioalbum schossen alle Alben in ihrem Heimatland direkt auf Platz eins der Charts. Das sind bis heute sechs von acht Studioalben.
Die beeindruckende Stimme von Matt umfasst einen weiten Range und hat einen unverwechselbaren Klang. Er schreibt nicht nur Songs für Muse. Für Adam Lamberts Debütalbum lieferte er beispielsweise Soaked und die Musik im Abspann des Films The International stammt ebenfalls aus seiner Feder.
Es lohnt sich aber auch so, die Band etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die Geschichte von Muse ist voller ausgefallener Anekdoten.
So entstanden manche ihrer Songs in anderen Sphären. Bei der Aufnahme von Plug In Baby standen sie unter dem Einfluss von Magic Mushrooms, wie Bellamy in einem Interview erzählt. Das Gitarrenriff in diesem Song wurde als bestes Riff des 21. Jahrhunderts betitelt. Und auch erheblichen Aufwand scheuen Muse nicht: Damit sie für den Titel Megalomania auf einer der grössten Kirchenorgeln Europas spielen durften, mussten sie dem Priester der Kirche die Songtexte vorlegen. Er wollte sicherstellen, dass die Band keine Teufelsanbeter sind.
Gewisse Sounds entstehen gar mit den ungewöhnlichsten Methoden. Am Ende des Tracks Space Dementia kommt der Reissverschluss von Bellamys Hose als Instrument zum Einsatz. Anscheinend benutzten Muse Lamafussnägel als Instrument im Song Screenager. Wie sie die einsetzten und vorallem wie man an diesen speziellen Fussnägel kommt, habe ich nicht herausgefunden.
Das Lied Muscle Museum bekam seinen Namen, weil sie im Wörterbuch das Wort «Muse» nachschlugen und das – wer ahnt es – zwischen Muscle und Museum stand.
Das Album Absolution wurde in einem Lagerhaus im Osten Londons geschrieben. Chris Wolstenholme wohnte in der Zeit dort und übernachtete in einem aufblasbaren Schlafzimmer. Bei der Aufnahme des Albums war Matt Bellamy so gestresst, dass er wiederkehrende Albträume hatte, bei denen er kopfüber aufgehängt wurde und Schläge auf die Fusssohlen bekam.
Muse, die Band mit Prioritäten und Grundsätzen
Die Eigenheiten von Muse – besonders von Frontmann Bellamy – gehen weiter. Wenn Bellamy etwa im Studio neue Songs aufnimmt, möchte er keine Zuhörer. Nicht mal seine Bandkollegen dürfen anwesend sein, nur der Plattenproduzent ist geduldet. Am Reading Festival werden den Bands £1000-pro-Minute-Strafen auferlegt, wenn sie ihren festgelegten Zeitslot überschreiten. Der Rest der Band kam deshalb verständlicherweise ins Schwitzen, als sie mehrere Minuten zu spät auf der Bühne erschienen, weil er seinen Glücksgürtel verloren hatte. Dass Bellamys Villa am Comersee früher der Erholungsort von Winston Churchill war, ist dabei noch das am wenigsten Überraschende.
Die Band ist auch bekannt dafür, ihr Werk rabiat zu verteidigen. 2003 kam es zum Rechtsstreit mit Celine Dion, weil sie ihre Las Vegas Show «Muse» nennen wollte. Die Band hatte jedoch seit 1995 den Namen schützen lassen und führte an, sie wollen verhindern, dass Leute zu ihrer Show gehen und annehmen, Muse wäre Dions Begleitband. Noch vor Prozessbeginn bot ihnen die Sängerin für die Nutzung des Namens rund 40’000 Franken an, was sie jedoch ablehnten. Nachdem Dions Management sagte, sie würden die Show auch ohne Einverständnis von Muse so nennen, reichte die Band Klage ein und gewann vor Gericht.
Auch Nestlé bekam das zu spüren, als der Konzern offenbar den Song Feeling Good eine Woche lang in ihrem Werbespot benutzte – ohne Einverständnis der Band. In einem Prozess wurde ihnen Geld zugesprochen, das sie Wohltätigkeitsorganisationen spendeten, die gegen ähnliche Konzerne wie den Lebensmittelgiganten kämpfen.
2007 schlugen sie das Angebot aus, am Live Earth-Konzert teilzunehmen und auf mehr Umweltbewusstsein aufmerksam zu machen. Dafür hatten sie auch einen guten Grund: Sie hätten einen Privatjet chartern müssen, um ihre Tour zu unterbrechen und an diesem aufzutreten.
In gewisser Weise kann man also sagen: Diese virtuose Show passt zur Extravaganz von Muse. Es sind diese teils schrägen Charakteristiken der Band, die neben den ikonischen Songs in die Waagschale geworden werden und Muse das Gewicht einer unsterblichen Rockband verleihen. Auch wenn in der Setlist für das Encore drei Titel standen, verliess die Band die Bühne nicht vor den Zugaben. Den Auftritt in Zürich beschloss die Band mit dem Song Knights of Cydonia. Noch ein letztes Mal sangen die Fans aus voller Kehle mit, bevor Muse ohne grossen Abschied aus dem Scheinwerferlicht traten.