Musikblogs sind doof
Auf der Suche nach Schweizer Musikblogs stösst man auf alte Listen und inaktive Websites. Doch ich fand auch einen Text, der im «Swiss Music Guide 2009» abgedruckt wurde. Einer, der mir ein «What the fuck?» ins Gesicht hämmerte.
«[…] Der Blog will wissen, was es Neues gibt. Er nimmt sich keine Zeit, das Neue einzuordnen, sein Gewicht abzuwägen und seine Bedeutung einzuschätzen. Seriöse Musikkritik kann es in Blogs gar nicht geben. Dazu müsste ein Journalist genügend Ruhe aufbringen, um seine Urteile zu belegen, und sich um nichts anderes kümmern. Wer wissen will, wo ein Album in der Werkgeschichte einer Band steht, muss die Musse finden, ihre Diskographie zu hören. Blog-Autoren dagegen machen Freiwilligenarbeit. Sie schreiben nebenbei und haben nie genug Zeit. Wer am Feierabend noch rasch eine News publiziert, tut genau das, wofür ein Blog steht: Er spitzt zu und begründet nicht. Der Code des Blogs ist: Besessenheit statt Objektivität, Schwärmerei statt Redlichkeit. Urteile in Musikblogs sind witzig oder lahm, aber sie sind Geschmacksaussagen, keine Kritik. […]»
Pascal Blum, kommerz.ch, 13.08.2009
Diese Zeilen sind bloss vier Jahre alt und doch zeugen sie von einer so altertümlichen Einstellung. Als ob es die digitale Revolution nie gegeben hätte. Als ob sämtliche Blogs alleine dem Boulevard-Journalismus frönen würden. Wüst! Sezieren wir mal die Argumente:
Der Blog will wissen, was es Neues gibt.
Stimmt. Wer will das nicht?
Er nimmt sich keine Zeit, das Neue einzuordnen, sein Gewicht abzuwägen und seine Bedeutung einzuschätzen.
Was für eine gemeine Pauschalisierung. Generell wird Bloggern unterstellt, unreflektiert zu labern. Dabei ist das eine reine Einstellungssache der Betreiber eines Blogs. Wie seriös man mit der Musik ins Gericht gehen möchte, obliegt stets dem Autoren.
Seriöse Musikkritik kann es in Blogs gar nicht geben. Dazu müsste ein Journalist genügend Ruhe aufbringen, um seine Urteile zu belegen, und sich um nichts anderes kümmern.
Falsch. Ob ein Journalist tatsächlich Ruhe braucht, um seine Urteile zu belegen, ist fraglich. Das Publikum entscheidet, was «seriöse» Musikkritik ist. Denn eine Kritik ist immer subjektiv. Zwischen Journalist und Leser besteht ein Vertrauensverhältnis, das erst aufgebaut werden muss. Kaufe ich ein Album aufgrund einer Kritik und es entspricht nicht meinem Geschmack, betrachte ich automatisch sämtliche anderen Kritiken des Autoren skeptisch.
Wer wissen will, wo ein Album in der Werkgeschichte einer Band steht, muss die Musse finden, ihre Diskographie zu hören.
Stimmt. Aber genauso muss er sich durch gesellschaftliche Strukturen manövrieren können, um das Album in einen Kontext stellen zu können. Konzentriert Musikhören kann man fast überall, man muss sich nur bewusst dafür entscheiden.
Blog-Autoren dagegen machen Freiwilligenarbeit.
Stimmt. Und die meisten auch noch verdammt gute. Warum? Weil noch Leidenschaft im Spiel ist.
Sie schreiben nebenbei und haben nie genug Zeit.
Stimmt. Aber niemand hat Zeit. Auch der Vollblut-Journalist muss sich mit seinem Text noch bis zur Deadline rumschlagen.
Wer am Feierabend noch rasch eine News publiziert, tut genau das, wofür ein Blog steht: Er spitzt zu und begründet nicht.
News sind keine Kritik. «Musiker xy ist verstorben» – Das ist reine Information, keine Reflexion. Somit ist es auch kein gültiges Argument zur These.
Der Code des Blogs ist: Besessenheit statt Objektivität, Schwärmerei statt Redlichkeit.
Da hätten wir es wieder: Die beiden Begriffe Kritik und Objektivität beissen sich. Wobei natürlich die Subjektivität weniger subtil gehandhabt wird als bei traditionellen Medien.
Urteile in Musikblogs sind witzig oder lahm, aber sie sind Geschmacksaussagen, keine Kritik.
Was ist denn eine Kritik, wenn keine Geschmacksaussage? Aus hundert Konzertbesuchern resultieren hundert verschiedene Meinungen zum Anlass. Die Kritik erzeugt gleichermassen Befürworter wie Gegner. Das liegt in ihrer Natur.
Fazit: Es ist alles eine Frage der Definition von Seriosität. Und eine des Geschmacks. Und wer heute noch jammert wegen Musikblogs (ja, es gibt auch viel Bullshit!), der hat die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Denn diese Plattformen bieten dem Musikjournalismus eine Zuflucht, während die Feuilleton-Inseln im Print-Meer langsam versinken.