Wir haben das Letzigrund gefüllt

Der grosse Jahresrückblick.

Wir haben das Letzigrund gefüllt

Die letzten zwölf Monate waren für Negative White wegweisend. Um die Transformation der letzten Zeit zu verstehen, müssen wir kurz in die Geschichte dieser Plattform abtauchen.

Im Herbst 2009 entstand die Idee für Negative White. Es sollte ein Webzine für die Gothic-Szene werden, ausgestattet mit einer von Hand programmierten Website. Mein Bruder Nicola war in der IT-Lehre, ich machte die KV-Ausbildung. Er hatte sich gerade seine erste Kamera gekauft, ich wusste, dass ich in den Journalismus will.

In den folgenden Jahren entwickelte sich das Hobby-Projekt zu einer ausgewachsenen Organisation. Zwischenzeitlich arbeiteten bis zu 30 Personen ehrenamtlich für das Magazin. Neue Bereiche wurden erschlossen – von Literatur und Film bis zur Mode. Für eine Weile hatten wir sogar ein richtiges Büro.

Zurück auf Start

In diesem Zeitraum wurden über 3500 Artikel auf Negative White publiziert. Manche wirbelten viel Staub auf, zum Beispiel als wir den Foto-Vertrag von Guns n‘ Roses veröffentlichten und sogar in den USA zitiert wurden. Oder letztes Jahr, als wir den Verkauf von Mainland Music an Live Nation bekannt gaben.

Mittlerweile arbeitet Nicola als selbständiger Fotograf, ich als Journalist. Für ihn ist der Reiz der Konzertfotografie verflogen, er macht lieber Portraits. Und ich habe immer weniger Zeit.

Deswegen war 2019 – insbesondere das erste Halbjahr – geradezu schicksalhaft.

Die Website von Negative White auf Desktop und Mobile
So sieht Negative White heute aus.

Im März haben wir einen frischen Start hingelegt. Alle bisherigen Artikel wurden ins Archiv verbannt. Damit einher ging auch ein inhaltlicher Fokus: Die Musik steht wieder alleine im Rampenlicht.

Ende Mai stoppten wir zahlreiche Services, die zwar Einnahmen generierten, aber gleichzeitig zu mühselig waren für ehrenamtliche Arbeit.

Ein Stadion voll Menschen

Die Frage ist: Hat sich das alles gelohnt? Die kurze Antwort lautet: Ja.

Wir haben sozusagen das Stadion Letzigrund in Zürich gefüllt. 58’000 Musikinteressierte haben Negative White dieses Jahr besucht, vor allem aus der Schweiz und aus Deutschland. Das sind zwar etwas weniger als 2018, dafür kamen sie öfter: Über 230’000 Seitenaufrufe konnten wir verzeichnen.

Diese Zahlen sind zwar schön, aber eigentlich irrelevant für uns. Denn die Plattform – betrieben durch den Verein Negative White – überlebt nur dank der grosszügigen Unterstützung der Mitglieder. 40 Menschen konnten wir überzeugen, dass wir und unsere Mission es wert sind. Monatlich kommen so rund 100 Euro zusammen, mit denen wir unsere laufenden Kosten decken können.

Geschichten, die bewegen

Dank unseren Mitgliedern konnten wir auch dieses Jahr mit viel Herzblut über die Musiklandschaft berichten. Über 2000 Konzertbilder haben wir publiziert, einige der Besten findest du hier.

Wir haben uns durch hunderte neuer Songs gehört – und die besten Schweizer Tracks und internationalen Singles gekürt. Gemeinsam mit der Community haben wir Playlists fürs Pendeln und den Herbst kuratiert.

Negative White Reporterin Patrizia Tschurr im Interview mit Dunkelsucht.
Reporterin Patrizia Tschurr im Interview mit Dunkelsucht. Bild: Francesco Tancredi

Doch ein Blick auf die zehn meistgelesenen Geschichten zeigt, dass Negative White trotz der langjährigen Entwicklung immer noch einen Bezug zur Gothic-Szene hat. Der Rückblick auf das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, unser Nachruf zum kürzlich verstorbenen Goth-DJ Jesus *66† und ein Konzertbericht zu The Beauty of Gemina zogen viele Leser*innen an.

Überhaupt scheint – zu unserer Überraschung – das Genre der Konzertkritik alles andere als passé zu sein. Denn in den Top Ten landeten die Berichte vom Stars in Town in Schaffhausen, von Mark Knopfler im Hallenstadion, von Michael Bublé und auch von der ersten Schweizer Show von The Slow Readers Club im Papiersaal.

Eine aktuelle Einordnung schaffte es ebenfalls bis ganz nach oben: Unsere Einschätzung zum Song Deutschland mit dem Rammstein bereits im Vorfeld für Furore sorgten.

Pausenclown im Zirkus

Staub aufgewirbelt – oder zumindest böse Kommentare provoziert – haben unsere Verrisse. Nicht zufrieden waren wir mit Bon Jovi und der Abschiedsshow von Kiss. Dementsprechend kam der Fan-Hass zurück: «Der Verfasser dieses Berichts ist wahrscheinlich im wirklichen Leben Pausenclown im Zirkus RAVIOLI!!!!!», schrieb ein wahrer Matador der Kritik.

The Libertines
The Libertines im X-Tra. Bild: Evelyn Kutschera

Es war wirklich ein bewegtes Jahr für das Projekt – und eine Berg-und-Talfahrt für mich persönlich. Ich war kurz davor, die Plattform einfach einzustampfen. Doch dank den Veränderungen, dank Entlastung aus dem Team und dank dem Support aus der Community erlebt Negative White nun seinen 10-jährigen Geburtstag. Das erfüllt mich gleichzeitig mit Stolz und Demut. Niemals hätte wir gedacht, damals in unseren Kinderzimmern, dass wir einmal dieses Jubiläum feiern werden.

Aber der grösste Dank gebührt dir, liebe*r Leser*in. Danke für deine Treue und dein Interesse. Wir wünschen dir einen guten Rutsch ins neue Jahr und hoffen, dass du uns auch weiterhin begleiten wirst.