Raketkanon, Ach und Krach auf Steroiden
Raketkanon zeigen, wie entfesselter Noisecore wirklich zu klingen hat. Auf ihrer Abschiedstour spielten die Belgier vergangenen Samstag ihr letztes Konzert in der Schweiz im Ebullition mit willibald aus Bern. Wir waren dabei und fasziniert.
Eine Band, die sich wohl in keine Schublade drücken lässt. Mit Kauderwelsch-Lyrics, welche vielleicht nichts zu bedeuten haben aber im Kontext der Lärmkonstrukte immer noch mehr zu zu sagen haben als so manch lyrische Glanzstücke. Raketkanon; jeder Song trägt einen Vornamen als Titel.
Ob Noise-Explosionen wie Harry, oder trippige Psychedlic-Infusionen von Mélody oder geprellte Schultern von Hardcore-Brettern wie Nico Van der Eeken, die Band aus Gent besticht mit ihrer ganz eigenen Formel von experimentierfreudigen Rock und lässt dabei kein Haar gerade.
Ein lärmiger Abschied
Doch nun heisst es Schluss. Die vier Herren aus Belgien befinden sich seit Ende Herbst auf Abschlusstour durch einige Klubs in Europa. Nach ein paar Festivals im Sommer werden sich die Bandmitglieder anderen Projekten widmen.
Wir haben die Band glücklicherweise noch in einem ehemaligen Kinosaal in Bulle bei ihrem letzten Konzert in der Schweiz erleben dürfen. Das in einen Konzertsaal umfunktionierte Ebullition versprach mit den Noise-Rockern Raketkanon und willibald aus Bern einen spannenden und faszinierenden Abend.
Ein erstes Noise-Aufbäumen
Bläuliche Lichtkegel durchstechen die Nebelschwaden des Saals, als willibald die Szenerie betreten. Es dauert nicht lange, bis erste wummernde Lärmfluten von der Bühne auf das Publikum schwappen und diese mit verzerrten Wogen niederreissen. Über einem vorpreschenden Schlagzeug nimmt ein bissiger Bass seinen Lauf, während die Gitarre mörderische Akzente setzt. Reverblastiger Gesang hallt durch die alten Kinomauern, das erste Zeichen für einen Noise-Rock-Abend ist mehr als deutlich gesetzt.
Kratzig und aufbrausend gibt sich der Sound der Band, welche seit 2015 unterwegs ist. Nach der ersten EP While We Feel Romantic on Rooftops von 2017 gibt es nun in diesem Jahr schon bald mit Le roi est mort das erste Album, welches am 13. März erscheinen wird. Für das Publikum gab es vergangenen Samstagabend eine erste lautstarke Kostprobe des neuen stürmischen Materials. Man darf gespannt sein.
Von Feedbacks und schreienden Amps
Mähnen werden ausgeschwungen und willibald tänzeln und schlängeln sich auf der Bühne. Immer wieder wird mit dem Feedback der schreienden Amps gespielt und den Klampfen die lärmende Freiheit gelassen. Mit antreibender Rhythmusmaschinerie werden ebenjene Gitarren immer wieder in sphärische Ekstase gejagt oder flüchten sich vereinzelt auch in kantige Riffs.
Wummernd, kantig und mitreissend
Kantig sind ebenfalls die rhythmische Akzente, welche von der Band tight wie massgeschneidert gesetzt werden und den wummernden Klanggebilden dadurch einen eingängigen Flair verleihen. Ausgeklügeltes Songwriting bringt Spannung, der flimmernde Sound die Intensität.
willibald entpuppt sich als höchstprozentiger psychedelischer Cocktail. Geht runter wie Heissleim. Über eine Stunde lang wird das Ebullition in zähflüssigen und mitreissenden Noise-Rock begraben. Eine gitarrengetriebene Dampfwalze. Schön, dass ein Support-Act auch mal über die Stränge schlagen darf.
Noise-Rock erster Güte
Dann wird es Zeit für die Herren der Stunde. Dicke Nebelschwaden schweben im Saal als Raketkanon unter grossem Applaus die Bühne betreten. Es wird nicht lange gefackelt: In echogetränkter Stimme beginnt das Quartett mit Fons ihr Set. Kurz darauf ein polternder Beat, rotierende Synthie-Läufe und grimmige Einwürfe der Gitarre. Der grelle Gesang entwickelt sich in wildes Geschrei und der Schlagzeuger taktiert aufs heftigste sein Instrument, während verzerrte Klänge aus den Boxen hinausgeschossen werden. Ein Riffbrett der extremeren Manier wird aufgefahren und auf das baffe Publikum losgelassen.
Ein unbeugsamer Groove lässt bei den Nacken keine Gnade walten. Auf minimalem Schlagzeugset wird mit maximalem Effort ein nimmerruhendes Rhythmusgewitter aufgeschworen. Darüber beisst sich eine hypnotische Gitarre in die Trommelfelle während ein schnittiger Synthie die nötige Prise aufbauschenden Lärms liefert. Dazu die Stimmgewalt von Sänger Pieter-Paul Devos, welcher seinen Gesang über allerlei sphärisch-angehauchte Spielereien laufen lässt und mit heimsuchenden Gezetter durch Mark und Bein dringt.
Eine Büchse der Pandora
Wild und zügellos geben sich die Belgier auf der Bühne, eine furiose Lichtshow unterstützt Schlag auf Schlag den minutiös geplanten und doch chaotisch-wirkenden Auftritt. Explosive Riffs stechen durch den wummernden Strobo-Nebel. Die Nacken werden arg in Mitleidenschaft gezogen. Auf schönste und aufwändigste Art und Weise werden Songs mit Elementen von Post-Metal zu Sludge, Hardcore und Noise-Rock zusammengeschustert und live auf ein hungriges Publikum losgelassen. Das Ergebnis eine süchtigmachend Riffmaschinerie, welche musikalische Grenzen zertrümmert.
Ein dankbares letztes Konzert in der Schweiz
Die Belgier setzen auf gewaltvollen Auf- und Abbau von Songstrukturen, können aber genau so gut wuchtig mit polternd verzerrtem Vorschlaghammer in Form von Gitarre und Synthie überraschen. In all ihrer Wildheit lässt sich eine schmerzvoll melancholische Seite entdecken, welche immer wieder mit erbarmungslosen Riffs begraben wird.
So zornig sich ihre Musik gibt, so freundlich und sympathisch wirken sie auf der Bühne. Die Tatsache, dass dies ihre letzte Klubtour und ihr letztes Konzert in der Schweiz ist, hinterlässt einen bittersüssen Nachgeschmack. Jeder Song wird genossen, denn es wird mit grösster Wahrscheinlichkeit das letzte Mal sein, das man ihn live hört. Für ihr Set bedienen sich Raketkanon von allen drei Alben RKTKN#1 RKTKN#2 und RKTKN#3 des letzten Jahrzehnts und spielen und beschallen das Publikum mit allem, was die Amps hergeben.
So schön laut und gewaltsam die Belgier den Saal bedienen, so still und aufmerksam sind die Zuschauerinnen und Zuschauer bei ruhigeren und gar geflüsterten Teilen des Sets. Selten erlebt man, dass bei so wilden Konzerten das Publikum schon beinahe andächtig der Band zuhört.
Ein letztes Noise-Aufbäumen
Nach über einer Stunde verabschiedet sich Raketkanon nach Florent (Tipp der Redaktion) und einer Zugabe vom dankbaren Publikum und umarmt spontan noch einige Besucher. Schweissüberströmt und glücklich plaudern sie mit den Fans am Merch-Stand. Lange war Raketkanon ein Geheimtipp, bald beenden sie nach drei Alben und zehn Jahren experimentierfreudigen Schaffens die Band.
Es war mein erstes und letztes Konzert mit Raketkanon und muss sagen, dass ich nicht bereit war für eine derartige Wucht von Live-Performance. Kaum einer kann das wohl sein.
Die Konzertbilder wurden uns freundlicherweise vom Fotografen Urs Meyer zur Verfügung gestellt. Besucht seine Instagram-Seite für weitere spannende Aufnahmen.