Schafsnase aus dem Silicon Valley macht wieder Musik
Re-Licked: James Williamson hat eine Scheibe gemacht, die alte und neue Stooges-Lieder vereint. Iggy hat er dabei weggelassen. Search and destroy?
Bescheuert. Unbedacht. Bedenkenlos. Ach, was wurde in den letzten Tagen gehuldigt, gepredigt, gefrozelt. Mit der musikalischen Offenbarung im Ohr stürzten sich sämtliche Autoren elitärer Feuilletons, der sogenannten Qualitätsblätter, in der ganzen, deutschsprachigen Welt und überall dort, wo noch Englisch gesprochen wird, auf die Scheibe des Altmeisters, des dichtenden Barden, des Cavaliere, des 68er-Sunnyboys, des Aushängeschilds der kanadisch-musikalischen Selbstbewusstheit, des Poeten im Schlafzimmer und Wunderknaben bei Speis und Trank – Leonard Cohen!
Frohlocken tat er der Lebenslust und müde besang er den Weltschmerz, säuselnd schmuste er sich in all unsere Köpfe.
Der Leo hat natürlich eine Scheibe rausgebracht. Eine CD, die schon jetzt unters Christbäumchen geschmissen gehört. Leonard Cohen, was hat er uns berieselt und beflüstert, an unserer Seele gezupft. Geplaudert hat er mit uns, uns tief in die Augen geschaut, mit dem Rollkragenpulli im Winter und dem offenen Hemd im Sommer, die Ärmel lässig nach hinten gekrempelt. Freilich, stets war der Junge anmutig und schrecklich schön melancholisch. Er bezirpte manch schönen Abend mit Weib und Wein, sprach von vergessenen Liebeleien und ass gerne griechischen Salat, er hatte sogar ein Häuserl’ auf der griechischen Insel Hydra. Wandelnd warmes Faszinosum mit Gitarre. Sein röchelndes Album, auf dem er nur noch spricht, kaum mehr singt, wurde wortwörtlich von den Kritikern inhaliert und glorifiziert. Frohlocken tat er der Lebenslust und müde besang er den Weltschmerz, säuselnd schmuste er sich in all unsere Köpfe. Zum Verlieben, der Kerl. Die röchelnde Gottheit, mit Charme und Hut, der Literat unter den Musikern wurde gerade 80. Seine Ex ist Schuld oder das miese Management, dass Leo keine Kohle mehr hat. Pleite, der alte Lustmolch.
Da war doch noch jemand…
James Williamson erhält diese Aufmerksamkeit nicht. James was? Williamson, ja, der von den Stooges. Ach so, Stooges. Ihr wisst schon: Liebespaare rangeln miteinander auf der Wiese, die Mutter klopft mit dem Besenstiel an die Decke und schreit, die Mucke dürfe doch bitte (Herrgottnochmal!) heruntergedreht werden. Enge Jeans, Zigarettenqualm und hüstelnde Ästhetik. Arrogantes Rumgemotze und die temperamentvolle Blondine Iggy, mit Runzeln im Gesicht, oben ohne, als Frontmann in Bluejeans, ins Mikrofon brüllend. Unverstanden bis heute. Kultig halt. Pre-Punk, Urgestein.
Mit dieser Überzeugung und einem Dovo-Rasiermesser des Modells 6.8 schliff er sich die Haarknospen einmal wöchentlich von der Wange.
Um zu verstehen, was Re-Licked kann, darf oder soll, lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit des Musikus James Williamson zu werfen: in den 70ern überlegte er sich noch, ob er einen Schnauzbart tragen sollte. Schnauzbärte wurden dieser Tage oft getragen. Nur schien ihm, seine Backe, unbehaart, nackt, rein und fein, präsentiere seine Schokoladenseite. Mit dieser Überzeugung und einem Dovo-Rasiermesser des Modells 6.8 schliff er sich die Haarknospen einmal wöchentlich von der Wange. Doch die Vorstellung, einen Schnäuzer zu tragen, liess ihn in tiefes Grübeln kommen. Er haderte, schrieb in sein Tagebuch, hängte das Foto eines Nasenbären über die Küchentür und bekreuzigte all morgendlich den Postboten am Briefkasten seines Nachbarn in Castroville, Texas.
Ohne Schnauzer, dafür mit Gitarre
James vergass die Geschichte mit dem Schnauzbart und beschloss, sich das Gitarrenspielen beizubringen. Er tat es, und damit gehört er in die Reihe von von der Öffentlichkeit wahrgenommenen, autodidaktischen Musikern. Von denen es ja allerhand gibt. Als James zur Schule ging, hörte er Elvis. Übte zu gehen wie Elvis, zu sprechen wie Elvis. Wünschte sich, er wäre Elvis. Doch beim Picknick mit der Familie in Oklahoma, als auch Grossväterchen Montgomery II. dabei war und wüst etwas Rotz los wurde und dem Jungen dabei tief in die Augen schaute, wusste James, dass er aus ganz anderem Holz geschnitten war als Elvis. Schliesslich hatte sein Grossväterchen Montgomery II. damals in der 25. US-Infanterie Division unter William B. Kean in Korea gedient.
So gespalten wie die Halbinsel, so gespalten war plötzlich auch James‘ Verhältnis zur Musik. Er verstaute Elvis in irgendeinem Karton (der King konnte seiner Meinung nach sowieso nur noch schwitzen und dicker werden). Er hörte die Beatles und die Rolling Stones, lernte auf der High School ein paar picklige Jungs kennen, aus denen dann unmittelbar The Stooges wurde. Bald zogen die Jungs nach New York City um, wo sie mit John Cale, dem Violinen-Spinner aus Wales und Member der anrüchigen Band Velvet Underground ihr Debütalbum aufzunehmen. James fand das alles ganz aufregend, schnüffelte mit Lou Reed bei Andy Warhol zuhause an Alufolien und übte selbstbewusst am Klang seiner rauen Gitarre. Die Diva Iggy Pop, die mit bürgerlichen Namen James Newell Osterberg Jr. heisst, wollte auf die Bühne, Krach machen. Meist besoffen, taumelte die Band vor sich hin, kotze in Backstagebereiche und tobte sich mit Groupies aus. Die Band brach immer wieder auseinander, wegen Streiterein (was sonst?).
Aus dem verkotzten Backstage-Bereich ins Studio von David Bowie
Geld liess sich nur spärlich verdienen, bis ein junger Brite, der damals schon mit Mick Jagger im Bett gewesen war, Iggy und James ein Angebot machte, das sie nicht ablehnen konnten (wumps!): David Bowie alias Ziggy Stardust lud die beiden Jungs zu sich nach London ins Studio ein, um mit gekochten Spagetti Mikado zu spielen (bäh!), und das wiederum ist viel wichtiger für unsere Geschichte darüber, wie ein Album aufgenommen wurde. James und Iggy waren noch nie in London, johlten drei vier mal God Save The Queen und bestellten sich jede Menge Bloody Marys mit blauen Schirmchen in der überfüllten Economy Class im Flug 3041 der Pan American Airline von New York zum London Heathrow International Airport. Dort produzierten sie die Scheibe Raw Power (genau!), die den rau-melodischen, arroganten Sound der Stooges personifieziert, so liest man in aufgeklärten Musikzeitschriften (ach wirklich?). Doch irgendwann hatte James die Schnauze voll. Er, der keine Lust mehr hatte auf Konzerte, mischte nur noch ab und an bei Produktionen von Iggy mit, der alten Zeiten wegen. Vielmehr fokussierte er sich auf Studiotechnik und wurde Electro-engineer, nach einem Studium an der California State Polytechnic University, Pomona (Pomona, das hört sich toll an!). Er zog nach Silicon Valley, trug einen Schnauzbart und bastelte für Geld an irgendwelchen Computerchips rum. 2013 formierte sich die Band The Stooges erneut und die Boys gingen sogar auf Tour (Australien und so). Wahrscheinlich brauchten sie Kohle, oder sie hatten alle miese Ex-Frauen.
Um Iggy irgendwie zu ersetzen, hört man auf der Scheibe den Lo-Fi-Prinzen Ariel Pink, Biafra and Terri Gender Bender . Wer? Ach, vergiss es.
Das Album Re-Licked, das bei Negative White auf dem unschuldigen Thresen lag, handelt von alten Bootleg-Aufnahmen, neuaufgenommenen Tracks – ohne Iggy. Iggy hat damit kein Problem, nur die Fans. Aber James liess sich von niemandem auf die Stulle furzen und machte daraus ein angenehmes, lauwarmes, schnödes Album. Um Iggy irgendwie zu ersetzen, hört man auf der Scheibe den Lo-Fi-Prinzen Ariel Pink, Biafra and Terri Gender Bender. Wer? Ach, vergiss es.
Ich wünsche James Williamson alles Gute und empfehle das Album Leuten, die keine Lust auf Iggy Pop haben. Obwohl, die könnten dann auch Leonard Cohen hören. Warst du schon mal auf der Insel Hydra?