Scheitern
Niemand scheitert gerne. Trotzdem haben wir in den letzten zehn Jahren bei Negative White einige Fehlschläge erlitten. Redaktionsleiter Janosch Tröhler blickt zurück auf die grössten Fails.
Wer wagt, gewinnt – oder scheitert. Obwohl hunderte Blogs, Bücher oder mittelmässig seriöse Coaches etwas anderes sagen: Scheitern ist scheisse. Aber es ist tatsächlich so, dass man daraus lernen kann. Natürlich haben wir bei Negative White in den vergangenen zehn Jahren auch so einige Fails verbrochen.
Im Sinne der therapeutischen Transparenz schenken wir euch hier reinen Wein ein und geben unsere grössten Tiefpunkte zu. Wir sprechen hier nicht von den Kinderkrankheiten wie unserer ersten Website oder nervigen Schreibfehlern, sondern von den fetten Fails.
Schlimmes Echo
Einer der grössten Coups in unserer Geschichte ist gleichzeitig Schauplatz zweier Katastrophen. Im März 2012 anerbot uns Sir Paul McCartney – ja, der von den Beatles – ein exklusives Interview.
Abgesehen vom Kopfzerbrechen, was man eine lebende Legende überhaupt fragen soll, wurde kein Gedanke an die technische Ausrüstung verschwendet. Als der Tag X kam und McCartney anrief, hing das Telefon an einem Lautsprecher, daneben das Aufnahmegerät.
Dumm nur: Die Lautsprecher überlisteten das Telefon und so hörte sich der liebe Paul während 20 Minuten selbst. Als ich ihn fragte, wie es ihm gehe, sagte er: «I’m fine, but I have this terrible echo.» Auf die Idee, dass das mein Fail war, kam ich natürlich nicht.
Der zweite Fail kam einige Jahre später, als ich meinen Computer entrümpelte. Ich war mir ganz sicher, dass ich die Aufnahme irgendwo abgespeichert hatte, also löschte ich alles von der Festplatte. Nur um später zu bemerken: Fuck!
Und so ist das einzige Überbleibsel des Gesprächs dieser 3-Sekunden-Clip:
Kenne das Equipment
Die Technik machte uns schon mehr als einmal einen Strich durch die Rechnung. Zum Beispiel 2013, als wir Chrigel Glanzmann von Eluveite zum Video-Interview trafen. Zwei Spiegelreflex-Kameras hatten wir dabei, eine fest auf dem Stativ, eine in den Händen von Nicola Tröhler für die Schnittbilder.
Leider hatten wir uns nicht genügend informiert: Denn das Speicher-System bei Spiegelreflex-Kameras ist hinterlistig. Ab einer gewissen Dateigrösse stoppt die Aufnahme automatisch. Das war bei etwa zehn Minuten der Fall.
Glück im Unglück: Den Ton hatten wir separat aufgenommen und konnten uns gerade noch mit den Schnittbildern retten. Aber man sieht’s ab 9:50min, wie plötzlich keine fixe Einstellung mehr da ist.
Technik-Fails nerven am meisten – und sie können immer wieder zuschlagen. Erst letztes Jahr griff ich erneut voll in die Schüssel, als ich mich mit Adrian Erni von Yokko zum Interview traf. Rund eine Stunde schürften wir tief, ein hochspannendes Gespräch.
Erst auf dem Heimweg empfand ich es aber für nötig, die Aufnahme zu checken. Und promt: Nichts war zu hören. 58 Minuten schreckliche Stille. Die Rekonstruktion des Interviews war eine schmerzhafte, langwierige Angelegenheit.
Schuster, …
… bleib bei deinen Leisten. Auf dieses gute, alte Sprichwort hätten wir damals besser gehört. Irgendwann – vermutlich 2012 – begannen wir, thematisch immer breiter zu werden. Plötzlich schrieben wir über Literatur, dann über Mode, dann über Film, dann über Nachhaltigkeit und dann schrieben wir auch noch auf Englisch…
Dabei war Negative White als Szene-Magazin gestartet, der Fokus ganz klar auf der Musik. Und auch wenn so die eine oder andere gute Story entstand, scheiterten wir dennoch am verkrampften Aufbau anderer Themengebiete. Unsere DNA sind nunmal die Noten, die Strophen und Refrains, die Riffs und Beats.
Viel zu viel Energie haben wir in diese sinnlosen Erweiterungen gesteckt. Die Leute mit Interesse und Fachwissen haben im Team erst recht gefehlt. Die zusätzlichen Ressorts waren definitiv ein Fail.
Zum Glück haben wir mit dem Relaunch letztes Jahr und der Archivierung der alten Seite diese Fehlentscheidungen endgültig begraben.
Selbstüberschätzung
Die Selbstüberschätzung manifestierte sich aber nicht nur in unserer thematischen Verzettelung, sondern auch im September 2013. Da luden wir zur «StageDive-Party» im frisch eröffneten Komplex Klub. Mit DJs hinter den Tellern und Spencer auf der Bühne. Gross rührten wir das an:
Aber natürlich kamen vielleicht 20 oder 30 Leute – in einem Club für 400 Personen! Ultimativer Fail. Immerhin: Zwei Jahre später klappte es dann besser mit einer Metal-Night zum 5-jährigen Jubiläum im Treibhaus Luzern.
Ach ja, und da war noch die Zeit, in der wir tatsächlich jeden Monat ziemlich viel Kohle für ein Büro rauswarfen. Das war eine ganz sinnvolle Investition. Immerhin haben wir das aus dem eigenen Sack bezahlt.
Too big to fail
Aber jetzt ganz ehrlich: Das grösste Versäumnis ist ein persönliches. In den letzten zehn Jahren habe ich die Zügel von Negative White immer an mich gerissen, kaum Verantwortung abgegeben und Aufgaben delegiert.
Klar, da steckt eine ganze Menge Herzblut und Leidenschaft drin. Man ist besorgt um sein «Baby». Aber es ist auch ein Zeichen von schwacher Führung, dass eine Person alleine «too big to fail» wird – oder sonst halt das ganze Projekt stirbt.
Von allen Fails ist das für mich der wohl schwerwiegendste, aber auch der lehrreichste fürs ganze Leben.