Schweissperlen im Stroboskop-Gewitter

Das «One Of A Million» in Baden ist eröffnet. Das Städtchen wird zur pulsierenden Metropole der Musik. Ein Streifzug durch elektronisches Dickicht und Menschenmengen in Trance.

Schweissperlen im Stroboskop-Gewitter

Es ist ein kalter Freitagabend. Einer, an dem man sich zwingen muss, die Wärme des Heims zu verlassen. Mit der Aussicht, sich durch die letzten Wehen des Feierabendverkehrs zu kämpfen. Über die A1, Zürich links liegen lassend, weiter nach Baden. Der Ort hat Geschichte, doch modern-puristische Quader begrüssen einen. Es wird gebaut, aufgewertet – und wirkt doch klinisch tot.

Wenn man aber genau hinhört, hört man das Herz schlagen. Bumm, bumm! Baden verwandelt sich für ein paar Tage in die Hauptstadt der Musik. Alleine dafür hat sich die anfängliche Qual gelohnt: um die Geburtsstunde mitzuerleben, den Start des «One Of A Million». Diesem Festival, das sich heuer zum achten Mal im Städtchen ausbreitet.

Galaktische Stammesmusik

Stanzerei, irgendwann kurz vor 20 Uhr. Der erste Abend des Festivals ist ausverkauft, die Stimmung entspannt. Ebenso unaufgeregt beginnt die jüngste Frucht aus Berlins Techno-Lenden ihr Set. Yeah But No, die sich vor wenigen Monaten mit Sand unter die Haut bohrten. Blitzende Lichter, stampfende Bässe – das Duo Fabian Kuss und Douglas Greed bieten das Benzin für jede Raver-Maschine. Und mehr. Kuss’ kristallklare Kopfstimme durchdringt das elektronische Dickicht mit schneidender Melancholie.

Yeah But No bieten mehr als stupides Gestampfe. Bild: Janosch Tröhler

Nicht nur deswegen ist der Sound von Yeah But No mehr als stupides Beat-Gehämmere. Ihre Rhythmen sind exotisch; wie indianische Stammesmusik aus einer weit entfernten Galaxie. Manchmal streben die Songs selbst ins All hinaus, dann tapezieren sie die Wände eines Kellerclubs. Schizophrene Klänge, die trotz allem stringent sind.

Dieses Konstrukt ist das Ergebnis zweier Welten. Douglas Greed entspringt als DJ der Techno- und House-Szene. Kuss hingegen ist studierter Jazz-Musiker. Sie seien beide grosse Fans von Radiohead oder Son Lux, erklärt Kuss nach dem Konzert die Traurigkeit ihrer Stücke. Electronica eigne sich gut für ihren melancholischen Ansatz.

Yeah But No haben somit einen musikalischen Zwilling: Lea Porcelain, die Headliner des «One Of A Million». Denn auch Julien Bracht und Markus Nikolaus kommen aus verschiedenen Gefilden. Doch zeigt sich hier die Vielfalt: Diese Addition führt nicht zu einem bestimmten Sound. Yeah But No klingen vollkommen anders als Lea Porcelain – aber nicht weniger stark.

Melancholische Electronica – Yeah But No. Bild: Janosch Tröhler

Druckerei, irgendwann nach 21 Uhr. Alois stehen auf der Bühne, draussen wird geraucht. Ab und zu schwebt der süsse Cannabis-Geruch vorbei. Berauscht ist auch der Auftritt der Schweizer Band. Gestartet sind sie zwar mit beliebigem Indie-Pop-Rock, aber nach und nach verlieren sie die Austauschbarkeit. Sie wagen immer mutigere Räusche. Dennoch reicht es nicht für die völlige Eskalation.

The Soft Moon peitschen gnadenlos. Bild: Janosch Tröhler

Royal, irgendwann vor 23 Uhr. Der Nebel trübt die Sicht als sei man in einem englischen Moor gelandet. Tropische Hitze schlägt einem ins Gesicht, und laute Drums auf die Lungenflügel. Ein atemloser Trieb hat den Raum erfasst.

Gefesselt im Tanz

Nichts ist «soft» bei The Soft Moon. Ein gefährlicher Cocktail aus Post Punk, Shoegaze und Noise wird ausgeschenkt. Mal wummert Nostalgie der 80er, mal beschwört das wortkarge Trio die Postapokalypse. Immer düster, immer bedrohlich.

Die Gothic-Trance fesselt Anzugträger, Hipster und Gruftis im Tanz. Man schaut in ihre Gesichter, die mit geschlossenen Augen in die Lichtblitze starren. Sie sind längst in eine andere Dimension entschwunden.

Je länger dieser Wahnsinn andauert, desto kleiner sind die Chancen auf Rettung. Die Luft glüht. Schweissperlen schimmern im Stroboskop-Gewitter. Körper synchronisieren sich unter dem gnadenlos peitschenden Sound. Worte werden diesem irrwitzigen Schauspiel nicht gerecht, sind blosser Schatten dieser physischen Erfahrung. Sie verblassen mit jedem Schlag von Luis Vasquez auf das leere Ölfass.

Irgendwann nach Mitternacht. Der Mond scheint hell auf die Burgruine. Man kann sich in dieser kleinen Altstadt verlieren. Und manche suchen auf dem Boden eines Glases nach dem Sinn. Vor den Bars stehen Menschentrauben – schwatzend, lachend. Vor ihren Mündern bilden sich kleine Wölkchen.

Dann schmiegt sich das Vorderrad wieder an die Mittellinie der A1. Freie Fahrt durch die Nacht. Der Motor brummt, die Ohren dröhnen noch…