So viel Aufwand steckt hinter einem Stadionkonzert
Über 160 Franken kostet das günstigste Ticket für die Rolling Stones im Stadion Letzigrund. Lässt sich dieser Preis rechtfertigen? Der Blick hinter die Kulissen eines Mega-Konzerts.
Thun ist mit rund 43’000 Einwohnern die elftgrösste Stadt der Schweiz. 48’000 Menschen passen für ein Stadionkonzert ins Zürcher Letzigrund. Das ist die eine Zahl.
Die andere Zahl sind 164.35 Franken. So viel kostet das günstigste Ticket für die Rolling Stones am 20. September im Letzigrund. Eine Zahl, die Gemüter spaltet. «Viel zu teuer!», sagen die Kritiker. Die Frage bleibt, ob sich dieser Preis überhaupt rechtfertigen lässt.
14’400 Stunden Arbeit
Der Ticketpreis steht wie ein Monument im Raum. Es ist eine gehörige Stange Geld. Manche müssen sich diese Ausgabe zweimal überlegen. Genauso lohnt es sich aber, hinter die Kulissen eines solchen Mega-Konzerts zu blicken: Was braucht es um eine Produktion mit diesem Ausmass sauber über die Bühne zu bringen?
«Man kann den Aufwand vor Ort in Personentagen beziffern», sagt André Béchir, Geschäftsführer Veranstalters «abc Production», der auch die Rolling Stones präsentiert. «Für ein solches Konzert rechnen wir insgesamt mit 1800 Personentagen inklusive Auf- und Abbau, der Security und so weiter.»
Personentage bestehen aus 8 Personenstunden. In diesen acht Stunden wird nur die reine Arbeit, also keine Pausen, eingerechnet. 1800 Personentage entsprechen also 14’400 Personenstunden. Viel Arbeit für eine Show, die knapp drei Stunden dauert.
Für eine solche Veranstaltung braucht es auch diverse Bewilligungen: für Pyro, Laser, Statik, Lärm, Nacht- und Sonntagsarbeit.
Über 1000 Personen im Einsatz
Wie Béchir weiter erklärt, arbeiten am Tag der Show und dem Abbau der Infrastruktur in der Nacht rund 1230 Personen. Etwa 780 Personen arbeiten von Seiten des Veranstalters, 350 Personen stellt das Stadion für den Betrieb und die Gastronomie. Dazu kommen etwa 100 Personen aus der Crew der Band.
Nicht zu diesen 1230 Personen zählen alle Kräfte der Verkehrsbetriebe Zürich, den SBB und den Blaulichtorganisationen. Denn reisen 48’000 Personen am gleichen Tag an und wieder ab, bedeutet das eine erhebliche Belastung der Verkehrssysteme.
Etwa 600 Einsatzstunden leistet die Stadtpolizei Zürich.
Wie die Stadtpolizei Zürich auf Anfrage sagt, müssen Umleitungen eingerichtet, Strassen und Parkplätze abgesperrt werden. Dazu macht die Stadtpolizei auch den Verkehrsdienst und ist mit zivilen und uniformierten Beamten rund ums Stadion für die Sicherheit zuständig. Die genaue Anzahl Beamten verrät die Stadtpolizei aus strategischen Gründen nicht.
Die ersten 200 Einsatzstunden verrechnet die Polizei bei allen Grossanlässen im Letzigrund nicht. Alle zusätzlichen Stunden – etwa 400 – gehen zu Lasten des Veranstalters. Auch die Kosten für Umleitungen und Absperrungen muss der Veranstalter berappen. Insgesamt bedeutet das Ausgaben zwischen 40’000 und 60’000 Franken.
Bis zu 18 zusätzliche Trams
Auch der öffentliche Verkehr muss auf die zusätzliche Belastung reagieren. Extrafahrten der öffentlichen Verkehrsmittel werden bereitgestellt. Für die Anfahrt an das Konzert rechnen die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) mit etwa elf zusätzlichen Trams und sechs Bussen. Nach dem Konzert stehen die VBZ sogar mit zehn Bussen und 15 bis 18 Trams bereit.
Neben dem Fahrpersonal bieten die VBZ auch Personal für die Kundenlenkung und das Freihalten der Geleise auf. Das seien etwa 34 interne und externe Personen, wie die VBZ auf Anfrage mitteilt.
Im Gegensatz zur Stadtpolizei werden die Zusatzkosten nicht dem Veranstalter verrechnet, sondern vom Zürcher Verkehrsverbund getragen.
Maximal vier Konzerte im Jahr
Die Mietkosten für das Stadion Letzigrund liegen im tiefen sechsstelligen Bereich, sagt Hermann Schumacher, Leiter der städtischen Abteilung Sportanlagen. Der genaue Preis hänge immer von den konkreten Leistungen ab.
Ein grosser Posten seien dabei die Infrastruktur – es werden Sitze ausgebaut – und die Sicherheit. Alleine dafür müsse man mit bis zu 50’000 Franken rechnen. Bei der Sicherheit behält die Stadt das Zepter in der Hand. «Es braucht dafür Leute, die das Stadion gut kennen», sagt Schumacher. Ausserdem will man bei der Stadt so verhindern, dass der Veranstalter aus Kostendruck bei der Sicherheit spart.
«Es ist sonnenklar, dass der Steuerzahler nichts berappen muss.»
Die Arbeiten im Stadion dauern zwischen vier und sieben Tage. Das Letzigrund wird in dieser Zeit praktisch vollständig in Beschlag genommen. Im Gestaltungsplan wurde eine Klausel eingefügt: Es dürfen maximal vier Konzerte im Jahr veranstaltet werden. Alle drei Jahre dürfen es fünf Konzerte sein.
In den Verträgen zwischen der Stadt und den Veranstaltern wird auch festgelegt, wer bei Schäden an der Infrastruktur haftet – insbesondere dem teuren Fussballrasen: nämlich ausschliesslich der Veranstalter. Wird der Rasen beschädigt, kann das bis zu 150’000 Franken kosten.
Für ein solches Konzert muss der Veranstalter sämtliche Kosten des Stadions decken. «Es ist sonnenklar, dass der Steuerzahler hierfür nichts berappen muss», meint Schumacher dezidiert.
Millionen für die Band
Der durchschnittliche Ticketpreis für die Rolling Stones liegt bei über 200 Franken. Dadurch entsteht ein Umsatz von rund 10 Mio. Franken. Das klingt im ersten Moment nach viel, doch der Veranstalter hat davon nicht viel.
Das recherchierte bereits 2014 die «NZZ am Sonntag»: So sollen sich die Stones ihre Show mit einer Fixgage von 3.2 Mio Franken sowie einer hohen Beteiligung an den Ticketverkäufen vergüten lassen. Damals berechnete die Zeitung Einnahmen von rund 6 Mio. Franken für Jagger, Richards und Co. Hinzu kommen die Erträge aus dem Merchandise-Verkauf.
Bund, Kantone und Gemeinden verdienen mit.
Während mit grosser Wahrscheinlichkeit über 50 Prozent der Ticketeinnahmen an die Band gehen, muss der Veranstalter mit dem Rest und den Einnahmen aus der Gastronomie überleben. Selbst bei den Ticketpreisen hat der Veranstalter keine volle Freiheit, wie André Béchir bestätigt. Die Agenten und das Management der Band reden ein gewichtiges Wort mit.
Immerhin profitieren die Steuerzahler von den gewaltigen Einnahmen der Band. Wie der «Tages-Anzeiger» 2015 schrieb, wird auf die Nettoeinnahmen von im Ausland lebenden Künstlern eine Quellensteuer von 10 Prozent erhoben. Bei Einnahmen über 3000 Franken kommen noch 7 Prozent Bundessteuer hinzu. Insgesamt müssen die Bands 17 Prozent zuhanden Bund, Kantone und Gemeinden abdrücken.
Stadionkonzerte als Luxusgut
Es ist sehr unwahrscheinlich, ein Stadion-Konzert unter 100 Franken anbieten zu können. Sämtliche Letzigrund-Konzerte dieses Jahr kosten mindestens 120 Franken.
Einerseits liegt das am Aufwand, andererseits an den Preisdiktaten der Bands. Konzerte werden als Einnahmequelle immer wichtiger, während die Gewinne aus den Musikverkäufen weiter schrumpfen.
«Es möchten auch viele einen Mercedes, vermögen aber nur einen Suzuki.»
Dies bestätigt auch Stefan Epli von Ticketcorner. Epli sagt aber auch, dass es jedem selbst überlassen sei, ob er so viel ausgeben wolle: «Solche Konzerte sind Luxusgüter geworden, die sich nicht jeder leisten kann oder möchte. Es möchten auch viele einen Mercedes, vermögen aber nur einen Suzuki.»
Eine Band wie guter Wein
Es sind vor allem die Verschiebungen der Geldströme innerhalb des Musikbusiness’, die für höhere Ticketpreise sorgen. Das bestätigen auch andere Branchenvertreter gegenüber Negative White. Es sei nicht der Fall, dass die teuren Stadionkonzerte die Preise allgemein nach oben treiben.
Was viel eher der Fall sein dürfte, ist die Tatsache, dass die teuren Konzerte direkte Auswirkungen auf den Kulturkonsum haben. Genau lässt sich das nicht nachweisen, da es hierbei auf die individuelle finanzielle Situation ankommt. Ist man gut situiert, werden die 200 Franken für ein Ticket weniger ins Gewicht fallen. Als Student lässt man aber dann vielleicht das eine oder andere kleinere Konzert ausfallen, um sich das «Luxusgut» leisten zu können.
Die Rolling Stones sind wie guter Wein: Je älter, desto teurer.
Diese grossen Shows sind strukturierte Produkte der Unterhaltungsindustrie. Sie vermitteln ein Gefühl, bei den Stones etwa die Rückversetzung in die eigene Jugend. Die letzten grossen Acts, die solche Stadien füllen, haben dies verstanden und ihre Bands in Geldmaschinen verwandelt. Die Musik wird als Trägerin des kommerzialisierten Spektakels beinahe zur Nebensache.
Letztlich bleibt die Logik der Marktwirtschaft übrig. Die Nachfrage bestimmt das Angebot und den Preis. Im Falle der Rolling Stones verhält es sich ein wenig wie mit gutem Wein: Je älter, desto teurer. Und weil die Bandmitglieder schon alle über 70 Jahre alt sind, könnte jedes Konzert könnte das letzte sein. Damit lässt sich hervorragend an der Preisschraube drehen.