Weltschmerz, Selbstmitleid und Party
Stereophonics zeigen am Konzert im Volkshaus die Stärke ihrer Kontraste, die in Kelly Jones’ markiger Stimme liegt, aber auch in der Setlist des Abends.
Eigentlich ist es dreist, was die Stereophonics zum Start ihrer Show in Zürich machen. Bust this Town heisst der Opener – haut ab aus dieser Stadt. Das klingt nicht gerade wie ein Dank ans Publikum, dass es das Volkshaus fast gefüllt hat.
Aber so sind sie, die Waliser. Ein bisschen unterkühlt, mit düsteren Minen. Sie bolzen auf drei Gitarren eine harte Soundwand in den Saal, verzichten auf wilde Showgestik – Britrock-Style.
Die alte Musik ist da
Wobei die Stereophonics ein bisschen anders ticken. Die Band lässt sich oft von der alten Musik inspirieren: mal vom Blues wie in Mr. Writer, dann wieder vom Folk wie in Make Friends with the Morning. Und: Im Indie-Rock gibt’s womöglich keine souligere Stimme als jene des Sängers Kelly Jones.
In ihr vereint sich alles, was Stereophonics ausmacht: Weltschmerz, Einfühlsamkeit, Selbstmitleid, aber auch immer wieder Zuversicht, dass alles irgendwie gut wird – oder zumindest gar nicht so schlecht ist.
In diesen Gefühlswelten liegt ein Kontrast, den die Phonics in Zürich bis an die Grenze ausreizen und visuell inszenieren. Die Band ist in zwei Reihen aufgestellt. Vorn die Männer mit düsterer Mine, also Sänger Jones, Gitarrist Adam Zindani sowie Bassist und Originalmember Richard Jones – die beiden Joneses sind übrigens nicht verwandt.
Der Drummer und die Vorhänge als Kontrast
Über dieser Mauer der Coolness thront auf einem Podest Drummer Jamie Morrison neben zwei weiteren Musikern – vor einer lieblichen, mit Promnight-Vorhängen und Lichterketten dekorierten Wand. Sein Schlagzeug strahlt im Stil des neuen Albumcovers in lila-orange-türkisen Farben über die Frontmänner in den Saal. Neben dem Bass Drum sitzt eine kleine Eule, als wolle sie den verspielten Gegenpol doppelt unterstreichen. Und Morrison kontrastiert die Band nicht nur mit seinem kunterbunten Schlagzeug, sondern auch mit seiner Spielweise. Er lässt sein Schlagzeug jubilieren und es scheint, als würde er tanzen, während er es mal torpediert, mal streichelt; meist mit breitem Grinsen im Gesicht.
Diese beiden Seiten unterstreicht die Band auch mit der Setlist, die sie von Show zu Show neu gestalten. In Zürch pendelt sie stetig zwischen harten Krachern und balladeskem, teils stillem Material.
Lautes Geschwätz im Saal
Das interessiert das Publikum offenbar nicht immer im gleichen Mass. Während es bei Hits wie Have A Nice Day oder Maybe Tomorrow beherzt mitjohlt, bricht bei den leisen Songs wie Bright Red Star lautes Geschwätz aus, in dem die Klangwellen von der Bühne kleben bleiben wie Insekten an einem Fliegenfänger.
Das ist ärgerlich, zumal eigentlich in diesem Wechselspiel die Spannung der Stereophonics liegt. Ihre Hits hatte sie um den Jahrtausendwechsel. Doch die Songs danach sind nicht schlechter, nur weniger bekannt. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt.
Der Kernsong
Insbesondere mit This Life Ain’t Easy (But it’s the One That We All Got) vom neuen Album. Mit diesem Song hat die Band eine selbstresümierende Überkomposition kreiert, die als Kernstück ihres Gesamtwerks verstanden werden kann, in diesem Fall aber auch des Abends in Zürich – wenngleich teilweise überschattet von der lautstarken Feierwut des Publikums.
Der Song beginnt mit einer nonchalant geschrummten E-Gitarre, spärlich eingeworfenen Pianoakkorden, während Kelly Jones, singsangartig intoniert, über vergangene Leiden und Freundschaften sinniert. Dann hämmert Morrison ein Break in dieses plätschernde Musikbächlein. Zindani haut ein Riff drüber und Kelly röhrt lauter, höher, hoffnungsvoller.
Das Lied vereint auch lyrisch das Bejammernswerte des Lebens und die Zuversicht, die man im Umgang damit entwickeln kann. Der Erkenntnis «Responsibilty was never, ever customary» und «Our Innocence ain’t free» steht der Ruf entgegen: «Dream out loud and be!». Denn das Leben ist zwar nicht einfach. Aber es ist nun mal dasjenige, das wir haben.
Die Botschaft ist durchaus hoffnungsvoll zu verstehen – und sie ist auch die letzte Zeile des Songs, aber nicht der letzte Ton. Die Komposition führt zurück ins melancholische Geplätscher und lässt den Zuhörer eher wehmütig als zuversichtlich zurück.
Wäre dies das Ende des Konzerts, müsste man die Eingangsworte zur kollektiven Stadt- oder gar Weltflucht womöglich doch ernst nehmen. Doch die Phonics brechen hier mit den Parallelen zwischen ihrem alles zusammenfassenden Kernsong und ihrer zweistündigen Show. Sie packen mit Just Looking und C’est la vie nochmals Hits in die Schlussphase und beenden die Zugabe mit dem Stadionrock-Kracher Dakota. Das Publikum singt. Das Publikum tanzt. Das Publikum ist glücklich. Die Stadt ist gerettet, der Weltschmerz vergessen. Die Phonics haben gesiegt.