The Beauty of Gemina – Mit akustischer Imperfektion zur Brillanz
The Beauty of Gemina lieferten am Freitagabend ein zweistündiges Fanal. Erneut bewiesen sie: Ihre Akustik-Shows sind kaum zu schlagen.
Moods. Der legendäre Jazzclub ist – ähnlich wie das X-Tra oder das Alte Kino in Mels – ein zweites Zuhause für The Beauty of Gemina geworden. Zum dritten Mal spielen sie hier; jedes Mal in akustischer Formation. Also so, wie sie – behaupten manche – am brillantesten sind.
Tatsächlich sind aber seit ihrem Akustikalbum The Myrrh Sessions bereits vier Jahre ins Land gezogen. In Ghost Prayers und Minor Sun hinterliess das akustische Experiment deutliche Spuren: Die Band um Michael Sele erfand den sogenannten «Gemina-Sound» neu.
Das Moods füllt sich bis zum Rand – ausverkauftes Haus.
Ihre akustischen Konzerte, insbesondere jene im Moods, gehören spätestens seit 2015 zu den absoluten Höhepunkten ihres Schaffens. Dann veröffentlichten The Beauty of Gemina ihre Live-Aufnahmen des Auftritts im November 2014. Es ist schier unglaublich, dass sich die Bühnenmagie derart einfangen liess.
Gerade deshalb steigen die Erwartungen an diesem Freitagabend in schwindelerregende Höhen. Die Luft im kleinen Club knistert. Wer früh genug da war, konnte sich einen Sitzplatz ergattern. Das Moods füllt sich bis zum Rand – ausverkauftes Haus. Das Publikum einzigartig für die Band. Ziehen ihre klassischen Rockshows vermehrt die Gothic-Szene an, ist es hier geradezu eine bunte Truppe.
Michael Sele betritt alleine die Bühne, eine Gitarre in den Händen. Seine Finger beginnen über das Griffbrett zu hüpfen. Dem Instrument entlockt er ein faszinierendes Klangbild. Nahtlos steigt die Band ein und das verspielte Intro mündet im düster treibenden Narcotica.
Das zweite Stück, Another Death, ist eine der geschicktesten Interpretationen, die Sele und seine Männer je geschaffen haben. Melancholie trifft auf mediterranen Rhythmus. Ein Kontrast, der eigentlich jeden Versuch gewaltig scheitern lassen müsste. Crossroads, ihre Adaption Calvin Russells Song, beginnt dann leicht und steigert sich rasant in ein überwältigendes Arrangement.
Western Noir
Man mag dem Irrglauben erliegen, dass die Band akustisch ganz ruhig werden würde. Im Gegenteil. Suicide Landscape, ihre hochgelobte erste Single, wird zum ohrenbetäubenden Sirenengesang. Die ganze Band und alle Gastmusiker spielen fiebrig. Das Finale des Stücks ist derart furios – als breche gleich der Weltuntergang über das Moods herein. Musik gewordene Apokalypse. Ein kollektives Schaudern geht durch den Raum.
Ariel Rossi und Sele zeichnen mit ihren Saiten die Konturen, doch erst Eva Weys Violine komplettiert das Bild.
The Beauty of Gemina versteifen sich in ihren Interpretationen nicht bloss auf das Pathos. Zu Mariannah nimmt das Set erstmals richtig Fahrt auf. Bassist Andreas Zuber und Drummer Mac Vinzens sorgen für den Groove. Sie schippen unerbittlich Kohlen in den Heizkessel. Ariel Rossi und Sele zeichnen mit ihren Saiten die Konturen, doch erst Eva Weys Violine komplettiert das Bild. Die Reise geht mit Tempo weiter. Eine staubige Prärie zieht am ratternden «Gemina-Train» vorbei. Down By The Horses ist ein Western Noir.
Eine überraschende Bereicherung
Selbst Jahre später verlieren die akustischen Adaptionen nicht an Faszination. Wie die Band ihre Songs auf den Kern dekonstruiert und neu aufbaut. Wie die Musiker aus Individuen zu einem einzigen Körper fusionieren, in der die Klänge wie biologische Reaktionen entstehen – organisch und selbstverständlich. Der Genuss, wie sie vollends aus dem eng gezurrten Korsett ihrer Stücke in Kapriolen ausbrechen. Kein Song symbolisiert die unbändige Spiellust mehr als Hunters.
Eine der grössten Bereicherungen, die der «Gemina-Sound» jüngst erleben durfte.
Erst zur zweiten Hälfte des Sets scheint die Band synchronisiert. Jetzt sind sie unschlagbar. Ejyolfur Porleifsson, ein isländischer Saxophonist, ist der neuste Gastmusiker. Kennengelernt haben sie sich bei einer speziellen Performance im Vaduzer Kunstmuseum. Das Saxophon ist ausgerechnet jenes Instrument, dass man sich kaum im Klanggefüge vorstellen kann. Eine Harfe, eine Handorgel, ein Xylophon – ja, aber nicht das Saxophon. Überraschenderweise ist es aber genau diese Unwahrscheinlichkeit eine der grössten Bereicherungen, die der «Gemina-Sound» jüngst erleben durfte.
Zu In Silence beginnen der Flügel und das Saxophon zu tanzen. Ein eng umschlungenes Miteinander, ein Geben und Nehmen. Der schlichte Song baut sich auf, bricht zusammen, kommt wieder auf die Beine. Ein Straucheln und Kämpfen. Nun haben sich The Beauty of Gemina vollends in den Rausch gespielt: The Lonesome Death Of A Goth DJ ist pure Eskalation. Gitarre und Schlagzeug liefern sich ein nervenzerreissendes Duell. Hat der Raum vorher unter dem Deckel gebrodelt, so kocht die Stimmung plötzlich über.
Nach dem Depeche Mode-Cover Personal Jesus und einem schottischen Folklore-Intermezzo, dargeboten von Violine und dem Cello von Raphael Zweifel, wird die Intensität ihres Spiels zu Seven-Day Wonder greifbar wie nie zuvor. Die Fusion ist perfekt, die Energie und der Druck überwältigend.
Improvisation über Perfektion
Während The Beauty of Gemina überragend war, kann man selbiges nicht vom Publikum behaupten. Die einzige Lösung bliebt: die Augen zu schliessen, vollständig in der Musik versinken und nebenbei –Verzeihung – die Idioten auszublenden, die jeden Song mit ihrem Smartphone dokumentieren oder sich ums Verrecken lautstark unterhalten mussten.
Doch die vollkommene Hingabe führte auch zur Erkenntnis: Der «Gemina-Sound» ist da. Allzu oft wird man abgelenkt durch das eigene Suchen: Wie werden sie diesen und jenen Song interpretieren. Dabei hat sich selbst in der akustischen Ausgangslage nichts geändert. Endless Time To See und andere Stücke sind so komplex arrangiert, dass man sie auch in ihrer akustischen Version tausendfach hören kann. Sie sind und bleiben im totalen Sound verhaftet: Mit jedem erneuten Versuch, den Song in seiner Essenz zu fassen, entdeckt man eine neue, ungehörte Facette.
Die zweistündige Performance wurde mit mehreren stehenden Ovationen honoriert. Zurecht, haben sich The Beauty of Gemina im Laufe des Abends von einer guten hin zu einer grandiosen Leistung gesteigert. Man mag gewisse Arrangements noch kritisieren, weil sie Ecken und Kanten haben. Andererseits macht dies auch den Charme ihrer akustischen Performance aus: Das Wissen, dass die Songs niemals wirklich fertig sind. Das ist das genaue Gegenteil der Originale, die mehrheitlich durchstrukturiert und perfektioniert sind. Die Imperfektion, die Improvisation garantieren eine abenteuerliche Entdeckungsreise.