«Ich habe akzeptiert, dass im Nichtwissen sehr viel Leben steckt»
Die nordenglische Band The Slow Show steht für atmosphärisch dichten Indie-Folk-Rock, der an Elbow oder The Divine Comedy erinnert. Sänger Rob Goodwin erzählt bei einem Besuch in Zürich, was sie zum dritten Album angetrieben hat.
Das neue The Slow Show-Album, Lust and Learn, wird von vielen Musikkritikern als minimalistisch bezeichnet. Ich finde eher, es ist sehr voll und üppig. Wer hat deines Erachtens recht?
Rob Goodwin: Wir versuchen durchaus Lücken und damit Raum zu schaffen, was zuweilen minimalistisch klingen mag. Dies aber sehr bewusst. Wenn man solchen Raum kreiert, dann deshalb, weil der Klang im Grunde sehr voll ist. Bei der Arbeit an unseren ersten beiden Alben dachten wir nicht wirklich darüber nach, was wir genau taten. Für das Neue gingen wir aber sehr gezielt vor. Wir wollten Landschaften, Stimmungen, Szenarien erschaffen. Und dann gibt es eben diese beabsichtigten geräumigen Bereiche, in denen die Zuhörer in sich selbst versinken sollen. Dann kommen wiederum Episoden, in denen etliche Klangebenen übereinander liegen. Grundsätzlich ist das neue Album voller als die anderen, davon bin ich überzeugt.
Euer Sound wird auch häufig als düster bezeichnet. Findest du euch düster?
Das neue Album ist jedenfalls nicht so düster wie die beiden Vorgänger. Der Erstling war sehr düster, das fand ich auch. Ich war äusserst unglücklich, als wir das Album aufnahmen, bitter und vom Leben enttäuscht. Ich steckte auch in einer Beziehung, die völlig zerbrochen war und in der ich mich sehr einsam fühlte. Damals hinterfragte ich das Stimmungsbild, das die Musik abgab, nicht. Wie düster der Stoff ist, fiel mir erst später auf. Aber er ist auch extrem ehrlich. Rückblickend erkenne ich, wie destruktiv diese Zeit für mich war. Ich war eine tickende Zeitbombe. Heute hingegen bin ich mehr bei mir denn je. Deshalb würde ich das neue Album auch nicht als düster bezeichnen. Emotional, ja. Aber ich hoffe sehr, dass es ein optimistisches Grundgefühl vermittelt.
Der Song Low ist aber recht bedrückend.
Das ist sicher der düsterste Song auf dem Album. Sein Thema ist allerdings auch ein schweres. Es geht darin um die psychische Gesundheit eines Menschen und darum, zumindest etwas Stabilität zu finden, auch wenn es einem dabei noch lange nicht gut geht. Aber nach etwa zwei Minuten kommt ein Stimmungswechsel mit einer Zeile, die lautet: «But it breaks to see it, though, You’re getting old, boy, Getting old, boy». Wenn ich emotionale Durchhänger habe, ist das für mich selber eine Art Tritt in den Hintern, mich aufzuraffen und etwas zu tun. Du darfst dich nicht einfach gehen lassen.
An diesem Song finde ich interessant, dass er nicht nur lyrisch hoffnungsvoll wird, sondern gegen Schluss auch klanglich die Stimmung wechselt.
Ich erinnere mich, dass Fred Kindt und ich bei ihm zuhause im Studio sassen und an diesen Klängen tüftelten. Und als wir zu jener Zeile kamen, stellten wir fest, dass wir alle Instrumente intuitiv in einem speziellen Akkord zusammengebracht hatten. Wir schauten uns an und lächelten. Das klang wunderschön. Zuerst ist da so ein schwerer Song und dann, genau im rechten Moment, fühlt es sich plötzlich an, als würden sich die Wolken ein bisschen auseinanderschieben und ein Sonnenstrahl scheine hindurch. So sehr ist mir sonst noch nie eine Soundpassage in unseren Songs unter die Haut gegangen.
«Einsamkeit schwingt auf dem Cover auf jeden Fall mit, aber nicht nur.»
Euer Album-Cover symbolisiert für mich Einsamkeit. War das euer Grundgedanke?
Einsamkeit schwingt auf dem Cover auf jeden Fall mit, aber nicht nur. Es geht auch um Vergangenheit und Gegenwart. Wir wollten ein Cover, das für jeden etwas anderes bedeuten kann. Dem einen ist es ein Sinnbild für Dinge, die vorbei sind, für den anderen symbolisiert es den Moment des Jetzt. Ich persönlich bleibe geistig insbesondere an dieser fantastischen, kraftvollen Landschaft hängen. Sie ist so gross und mächtig, die Figur auf dem Bild hingegen ist so klein und schwach. Die Natur als Macht ist auch Thema. Deshalb: Ja, Einsamkeit steckt da drin, aber auch noch viel mehr. Ich glaube, wir finden uns alle in diesem Bild wieder – irgendwie.
Das Thema der Suche sehe ich auf dem Cover irgendwie auch.
Absolut, sogar sehr stark. Ich denke, das ist auch ein generelles Thema des Albums. Irgendwo in der Mitte des Lebens kommt die Erkenntnis, dass die Hoffnung, alles ergebe sich irgendwie von alleine, wie es soll, nicht aufgeht – und doch sucht man den Moment, in dem alle Fragen beantwortet, alle Probleme gelöst sind. Einige Menschen, die ich kenne und viel älter sind als ich, scheinen auf den ersten Blick angekommen zu sein. Blicke ich unter die Oberfläche, stelle ich aber fest, dass sie Suchende sind, wie ich. Sie kommen nicht leichter durchs Leben.
Sucht man dieses perfekt Organisierte im Leben, ist das Künstlerdaseins vielleicht nicht die beste Wahl, oder?
Definitiv. Aber ich habe auch akzeptiert, dass im Nichtwissen sehr viel Leben steckt. Alles ist möglich. Darum gehts auch auf dem Album. Um dieses Herausfinden, wo es langgeht. Es heisst ja Lust and Learn. Die Lust und das Lernen gehören zusammen. Im Nichtwissen steckt beides. Würdest du ankommen, würdest du aufhören zu lernen, wäre das Leben vermutlich nicht mehr sonderlich interessant.