Hohe Erwartungen im Gepäck
Das Wave-Gotik-Treffen blickt zurück auf 24 Jahre, vollgepackt mit tausenden von Bands, hunderttausenden von Besuchern, Millionen von Eindrücken.
Alljährlich zu Pfingsten verwandelt sich Leipzig in die schwarze Stadt. Mehrere zehntausend Besucher verschönern das Stadtbild mit ihren schillernd-schwarzen, aber auch bunt-ausgefallenen Outfits. Das Wave-Gotik-Treffen (WGT) gibt den Mitgliedern der Schwarzen Szene für fünf Tage das Gefühl, endlich mal normal sein zu können.
Und es ist wahr: Das Wave-Gotik-Treffen ist eine grosse Familienzusammenkunft. Die verschiedenen Subkulturen treffen im friedlichen Beisammensein aufeinander und geben der Schwarzen Szene einen bunten Anstrich. Dieses Jahr – zur 24. Ausgabe – kamen 21'000 Anhänger und damit ungefähr tausend mehr als im letzten Jahr.
Schon vieles hatte ich über das WGT gehört, dabei gewesen war ich leider noch nie. Also wurde es Zeit, dies endlich mal zu ändern. Ab ging es nach «Läpzsch», mit hohen Erwartungen im Gepäck.
Nach den Unruhen um den Bahnstreik – der Goth sei Dank pünktlich zum WGT beendet worden war – waren wir froh, hatten wir uns für die Anreise mit dem Flugzeug entschieden. Die Buchung der Flüge hatte sich zwar als nicht ganz einfach erwiesen: Nachdem unsere Flüge einige Wochen vor Pfingsten storniert worden sind, mussten wir für den Rückweg auf einen Flug über Stuttgart ausweichen. In so einem kleinen Flugzeug wie demjenigen von Stuttgart nach Zürich waren wir davor noch nie geflogen… Doch ich greife vor.
Beginnen wir beim Anfang: Relativ spät kamen wir am Freitagnachmittag in Leipzig an. Das war wahrscheinlich auch der Grund, wieso die Taxifahrt ins Zentrum ein ausgestorbenes Leipzig zeigte. Logisch, es waren ja schon alle in den etlichen Veranstaltungsorten «versorgt».
Trotzdem: Ich hatte mir in meiner Vorstellung ein Leipzig voller schwarzer Seelen ausgemalt. Davon keine Spur. Später erfuhren wir, dass sich die WGT-Besucher dieses Jahr angeblich vermehrt an bestimmten Orten konzentriert hätten und Leipzig deshalb weniger schwarz erschien wie die Jahre zuvor.
Leipzig und seine Musik
Auch dieses Jahr luden über 50 Veranstaltungsorte zu Konzerten, Partys, Märkten, Lesungen, Vorträgen, Theaterstücken, Ausstellungen und Darbietungen dunkler Natur ein.
Und es war für jeden Geschmack etwas dabei. Die Qual der Wahl war unglaublich gross. Szene-Urgesteine wie DAF, Blutengel, Deine Lakaien, Front 242, Clan of Xymox, Kirlian Camera, Fields of the Nephilim und Diorama, aber auch jüngere Bands wie The Beauty of Gemina, Nachtmahr, REZUREX, Koffin Kats und Mono Inc. boten eine breite Musikpalette.
Verschiedene Veranstaltungsorte und Partys führten in verschiedene Welten, wie zum Beispiel das Heidnische Dorf oder das Viktorianische Picknick. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke rollte den roten Teppich für den Tod aus, das Absinth-Frühstück holte uns wieder ins Leben zurück.
Nach den Konzerten warteten tolle Feiern in diversen Stadtteilen und Locations auf. In der Moritzbastei liess sich der Abend gut mit «Wave, Elektro, Gothic, Industrial, Metal und mehr auf vier Tanzflächen» ausklingen. Leckereien vom Grill, fröhliches Rumgehümpfe und ein Besuch von Tante ähh… Shot «Gisela» rundeten jeden gelungenen WGT-Tag ab.
In der Villa konnten die Abende härter, mit Industrial, Noise oder Dark Ambient, weggetanzt werden. Dabei mussten wir feststellen, wie verwöhnt wir in der Schweiz punkto Lüftungssysteme in Clubs sind. Die Luft in der Villa war extrem stickig und feucht. Dafür floss der Gin Tonic umso erfrischender. Mit Abstand am Besten feierte es sich an der Afterparty des «Gothic Pogo Festival X» im Werk 2.
Offiziell gehörte dieses Festival zwar nicht mehr zum Treffen. Was uns aber nicht daran hinderte, den letzten Abend im Werk 2 ordentlich zu begiessen. Musik und Location waren genial. Leider gab es dort die berühmt-berüchtigten, hinterhältigen Mexikaner-Shots…
Gewänder und Geschmeide
Die WGT-Szenemesse in der Agra-Halle liess Shopping-Herzen höher schlagen. Ob Schuhe, handgemachte Korsagen, Kleider, Accessoires, Taschen, Keramik-Waren oder lustige Gadgets – für jeden Geschmack und Geldbeutel war das Passende dabei. Queen of Darkness traf auf Darkstore und Killerkirsche. Neben Kleidern von der Stange reihten sich handgemachte Kostbarkeiten.
Die WGT-Szenemesse übte eine starke Anziehungskraft auf uns aus, welcher wir uns bereits am ersten Abend hingeben mussten. Doch nicht nur am WGT selber konnte nach Herzenslust geshoppt werden, auch in der Altstadt lockten schmucke schwarze Geschäfte zum stundenlangen Stöbern.
Mein Leipzig lob‘ ich mir!
Meine ganz persönlichen Highlights waren Dr. Mark Beneckes Vortrag zu Mumien in Palermo und der Psychobilly-Abend am Montag im Täubchenthal.
Benecke vermittelte die Themen Tod und Zerfall in seiner bekannt sympathischen, mit schwarzem Humor gespickten Art auf extrem spannende Weise. Schinken konnten wir danach keinen mehr essen. Dafür wissen wir jetzt, wie wir nach unserem Tod aussehen werden: Ganz schön grün und voller Fliegeneier im Gesicht.
Der Psychobilly-Abend im Täubchenthal bescherte uns – angeschlagen wie wir am Montag alle waren – mit REZUREX, The Other und Koffin Kats noch einmal richtig viel Spass in einer tollen Location. REZUREX, die Psychobilly-meets-Deathpunk-Formation mit dem Sänger mit den schönen blauen Haaren, heizte uns richtig ein. Und auch das Auge kam nicht zu kurz: Neben der gestylten Band gab es eine kleine aber feine Burlesque-Einlage zu bestaunen. Die Horrorpunk-Gruppe
The Other war leider nicht so ganz mein Fall. Verkleidungen bei Bands sind immer heikel und können schnell ins Lächerliche kippen. Zudem wurde ich mit der Stimme von Rod Usher nicht wirklich warm. Mich erinnerte das Ganze zu stark an ein Musical.
Koffin Kats gingen dann wieder umso mehr ab. Die Sunny Boys aus Michigan (Ryan Gosling in Schwarz) machten richtig Laune. Passend zum Bandnamen tauschten Vic Victor (Leadsänger, Kontrabass) und Tommy Koffin (Gitarre) ihre Instrumente wie verspielte Kätzchen im fliegenden Wechsel, schlugen mal über Kreuz das jeweilige Instrument des anderen an, hüpften abwechselnd unter und auf den Kontrabass. Vic Victor schwang den Kontrabass durch die Luft, als wäre er leicht wie eine Feder. Dabei spielten sie unermüdlich mit einem fetten American-Smile im Gesicht und sorgten für ausgelassene Stimmung im Saal.
Leipzig ist ein kleines Paris
Die Stadt Leipzig fügte dem vielfältigen Angebot des Wave-Gotik-Treffens eine wunderschöne Kulisse hinzu. Neben bedeutenden Gebäuden aus den Epochen der letzten Jahrhunderte luden Parks und Gärten, Denkmale und der schöne Südfriedhof zum gemütlichen Verweilen ein.
Nicht zu vergessen die sympathischen Leipziger mit ihrem süssen Dialekt! Insgesamt blieb leider viel zu wenig Zeit für all die tollen Eindrücke und Events im und ums WGT. «Läpzsch», wir kommen wieder!