Unbeschreiblich
Die White Lies feierten in London das 10-jährige Jubiläum ihres Albums «To Lose My Life». Ein Abend, dem mit Worten nicht gerecht werden kann.
Es war 1929, als das Gebäude namens «The Astoria» in Brixton, London als Kino seine Pforten erstmals öffnete. Eine bewegte Geschichte folgte – mit finanziellen Problemen, Besitzerwechseln und Legenden auf der Bühne. Seit 1972 treten hier die besten Musiker*innen der Welt auf, umrahmt vom faszinierenden Art-Deco-Interieur. Und durch die Kino-Vergangenheit fällt der Boden gegen die Bühne hin leicht ab – ermöglicht stets eine gute Sicht auf das, was da vorne geboten wird.
Heute heisst die Halle «Brixton Academy» und trägt immer noch den Duft der Geschichte in sich. Elton John spielte hier, Prince und Queen auch. Und am 6. Dezember luden die White Lies anlässlich des zehnten Geburtstags ihres Debüts To Lose My Life zur ausverkauften Feier.
Mit Blitz und Donner
Für mich war es das vierte Mal, dass ich die White Lies sehen würde. Das erste Konzert liegt sechs Jahre zurück. Im November 2013 lieferten sie eine kurze, aber solide Show im Komplex 457 ab. Drei Jahre später im Kaufleuten kamen sie der Perfektion einer Rockshow verdammt nahe. Und im vergangenen März habe ich Harry McVeigh, Charles Cave und Jack Lawrence-Brown zum spannenden Gespräch getroffen, das Konzert war eher schlecht.
Denn die Performance der White Lies steht und fällt mit Sänger McVeigh. Wenn seine Stimme versagt, Töne nicht getroffen werden, dann verfliegt die Magie augenblicklich.
An diesem Freitagabend sollten aber alle Sorgen umsonst gewesen sein. Die «Brixton Academy» war restlos ausverkauft. Als das Licht kurz nach 21 Uhr ausgeht, bricht tosender Jubel aus. Ein Knall, Konfetti regnet vom schwarzen Kuppeldach herunter und mit Blitz und Donner starten die White Lies. Was darauf folgte, dem ist mit Worten nicht gerecht zu werden.
Das Trio aus dem Londoner Stadtteil Ealing wuchte sich durch das komplette Debütalbum To Lose My Life – später die grössten Hits der nachfolgenden Alben.
Kollektive Energie
McVeigh war in bester Verfassung, obwohl es keine Rolle spielte, ob er die Töne traf. Denn alle Texte schallten aus fast 5000 Kehlen zurück. Die Menschen lagen sich in den Armen, in einem Rausch aus Euphorie und Bier. Eine hochansteckende Ausgelassenheit zuckte durch die Masse. Erbarmungslos wie grandios krachten die unsterblichen Hymnen auf die Verzückten herunter.
So verlockend diese kurzen Momentaufnahmen, die auf Instagram zuhauf zu finden sind: Keine Technologie vermag dieses Gefühl zu fassen, an dieser Show dabei gewesen zu sein. Kein noch so ausgefeiltes Adjektiv beschreibt das Erlebnis akkurat. Diese kollektive Energie, die alle zusammenschweisste. Diese Wucht der Melodien, die einen gleichzeitig verletzlich und unsterblich machte. Es ist eine Erinnerung, die sich nicht nur intellektuell, sondern ganz physisch in den Körper gebrannt hat. Für mich schlicht das beste Konzert des Jahres.