«Wir haben noch nie so lange und so hart an einem Album gearbeitet»
Daniel und Joakim sind Musiker, junge Väter und haben Angst. Angst davor, vergessen zu werden.
Es ist ein warmer Montag in Zürich. Die grossen Glastüren zur Gartenterasse des «Elle’n’Belle» sind weit geöffnet. Auf einer rustikalen Couch sitzen zwei gut gelaunte Nordmänner. Aus Skandinavien kommt entweder Metal oder Indie-Musik. Daniel Johansson und Joakim Sveningsson spielen letzteres.
Vor zehn Jahren trafen sich die beiden Schweden im Stockholmer Nachtleben und landeten in einem Studio. Es war die romantische, vermutlich alkoholisierte Geburtsstunde von Friska Viljor. Und nun – ein Jahrzehnt und fünf Alben später – machen sich die beiden jungen Väter mit ihrem neusten Werk zu neuen Ufern auf.
Wiedersehen mit einem alten Freund
Zehn Songs versammeln sich auf My Name Is Friska Viljor, umrahmt von Intro und Outro. Und bereits der Einstieg macht unmissverständlich klar, wie krass die Entwicklung der Band fortgeschritten ist. Das opulente Intro ist das pure Gegenteil des gewohnt einfachen Viljor-Sounds. Ein regelrechter Kulturschock.
Doch bereits das erste Lied, Sitting On My Dreams, belebt die Viljoresken Melodien. Die hohen, glockenartigen Klänge erinnern an frühere Songs. Die markante Falsett-Stimme von Joakim ist wie ein Wiedersehen mit einem alten Freund. Dann dreht die Band ab. Painted Myself in Gold ist ein grell funkelnder Song, der so hart die Kurve zum Pop kratzt, dass er beinahe eine Persiflage auf den seichten Mainstream wird. Federleichte Streicher, reisserische Synthies – der Song erinnert an die üppigen Arrangements von Patrick Wolf.
Vaterschaft und Bürozeiten
Wie kam es zu dieser grossen Veränderung in der Musik? Es begann bereits beim Songwriting. «Wir hatten keine Gelegenheit, zusammen Songs zu schreiben. Das ganze Album haben wir getrennt geschrieben», erklärt Joakim. Und Daniel führt aus: «Ich war gerade im Vaterschaftsurlaub und ich kann ja kein Baby ins Studio mitnehmen. Joakim war dann tagsüber am Arbeiten. Am Abend habe ich ihn abgelöst, wir trafen uns jeweils im Korridor, gaben uns ein High-Five und dann übernahm ich. Als meine Kleinen in den Kindergarten kamen, war Joakim an der Reihe mit dem Vaterschaftsurlaub.»
Die beiden arbeiteten zu Bürozeiten: vier Tage die Woche, von 9 bis 16 Uhr. Kein Rock’n’Roll-Traum, keiner der Songs entstand auf der Tour. «Es ist einfach nicht inspirierend, in einem Tourbus zu sein. Natürlich muss man auf einer Tour viel warten, es wäre also Zeit zum Schreiben da, wenn man es wirklich will. Aber ich hatte nie das Gefühl, das zu wollen», meint Joakim, während er sich mit den Fingern durch den buschigen Bart fährt.
Dennoch brachte jeder zwanzig Songs mit. Als gemeinsames Fundament für die Fusion dienten die Live-Musiker. Sie wurden ins Studio geholt und sorgten dafür, dass ihre Songs möglichst aus einem Guss klingen. Das gelang gut, aber hier und da spürt man die Varietät, die durch das getrennte Songwriting entstand. Der vielleicht überraschendste Song auf dem Album heisst My Boys. Keck und einfach in der Strophe, dann überfährt einen der Refrain mit einem wunderbar überschwänglichen Arrangement. So übertrieben, dass es schon wieder genial ist. Wie ABBA in cool.
Ballade für die Ewigkeit
So rassig My Boys ist, so bluesig ist Until The Rain. Beim ersten Hören muss man an Loving Cup aus dem überlebensgrossen Stones-Album Exile On Main Street denken. Ein Song, der so vielschichtig ist, dass man bei jedem neuen Anlauf neue Facetten entdeckt. Until The Rain ist eine Ballade für die Ewigkeit, vollmundig und voller Pathos.
«Wir haben die Messlatte für das Songwriting höher gesetzt. Wir kamen in eine Art Wettstreit, jeder wollte das Beste aus sich rausholen. Das war eine grossartige Sache. Nach dem Songwriting hatten wir auch höhere Ansprüche an das Arrangement und die Aufnahmen. Wir haben viel Energie reingesteckt. Wir haben noch nie so lange und so hart an einem Album gearbeitet.»
Die musikalischen Referenzen hören nicht auf. Danger In Front hat die nachdenkliche Leichtigkeit eines Cure-Songs, die vom flehenden Drängen in der Stimme unterstrichen wird.
Angst vor dem Vergessenwerden
Friska Viljor beschrieben ihr erstes Album einst als «Kindermusik mit erwachsenen Texten». Doch nun ist auch ihre Musik gereift, auch wenn es immer noch Platz für die verspielt-kindlichen Elemente gibt. Die anfängliche Einfachheit ihrer Songs war eine Gegenreaktion auf die grossen, gut produzierten Sounds anfangs der 90er-Jahre. Nun kehren Daniel und Joakim zu den Wurzeln ihrer musikalischen Erziehung zurück.
«Natürlich klebt dieses Image des simplen Sounds an der Band, aber wir sind mit jedem Album einen Schritt von dieser Einfachheit weggegangen. Bei My Name Is Friska Viljor dachten wir einfach: Es soll verdammt gross klingen.»
Eine Tendenz zur Grossspurigkeit hat oftmals den üblen Beigeschmack von Arroganz. Bei Friska Viljor wäre das ein vorschnell gezogener Schluss. Ein kleiner Hinweis findet sich zwischen den Zeilen, zwischen den Alben. 2013 erschien Remember Our Name, dieses Jahr also My Name Is Friska Viljor. Joakim und Daniel lachen, als sie auf die offensichtliche Verbindung angesprochen werden. «Das ist das erste Mal, dass uns das jemand fragt», meint Joakim. «Wenn du eine Familie hast, weitet sich dein Horizont. Du denkst über Leben und Tod nach. Wir haben grosse Angst davor, vergessen zu werden.»
Nein, der Mut zur Grösse zeugt nicht von Überheblichkeit, sondern von der Angst: Daniel und Joakim, die in der gleichen Stadt in Südschweden aufgewachsen sind, machen sich auf in die grosse Welt, angetrieben von der Furcht und dem Willen, ein Vermächtnis zu hinterlassen.