Am Ende bleibt Ambivalenz
The Beauty of Gemina feierten ihr zehnjähriges Bestehen und das neue Album mit einer grossen Show im Zürcher X-Tra. Doch irgendetwas fehlte.
Die Johanneskirche läutet zur Messe. Wenn The Beauty of Gemina zur Taufe – zur Plattentaufe – laden, folgen die «Shadowdancer» von weit herum. Aus Deutschland, Frankreich, Belgien und gar Russland reisten die Fans an. Doch nicht nur die. Eine Mischung aus Grufties, Freunden, Verwandten und Musik-Connaisseurs versammelte sich im Zürcher X-Tra zum grossen Gemina-Fest.
Anlass zum Feiern gab es: Die Band besteht nun seit zehn Jahren und im September veröffentlichten sie ihr siebtes Studio-Album Minor Sun.
Frech bis düster
Als Aufheizer engagierten die «Beauties» die Band Spencer. Das Quartett beginnt wild, laut und schmutzig. Was auf der Bühne steht, ist nichts Geringeres als eine gut geölte Rockmaschinerie. Das Energiebündel Leo Niessner – Sänger, Leadgitarrist und Punk im Herzen – gibt gewohnt den irren Klampfen-Helden. Erst mutet ihr Set fast zu frech an für ein Publikum, das sich die gepflegten Klänge von The Beauty of Gemina gewohnt ist.
Als hätten Spencer es geahnt, versinken sie nach einigen rassigen Nummern mit The Idea Of Something New in Melancholie. Das hätte gereicht, um zu beweisen, dass sie die Schwere, die Dunkelheit für sich vereinnahmen können. Mit Fireworks drehen sie jedoch erneut an den düsteren Reglern: Der furchtlos marschierende Beat, die ängstlich zitternde Gitarre schaffen eine monochrome Kälte bis sie im Refrain das Tempo rausnehmen und der Hoffnung Platz machen.
Aber erst mit Mine Is Here legen sie die Messlatte richtig hoch an: Orgelklänge und ein ohrenbetäubender Beat hallen durch den Saal. Stimmung kommt auf. Mit einer episch langen Version von Timewarp beschliessen Spencer dann ihren Auftritt mit einem fulminanten Höhepunkt. Zweifellos konnten Spencer hier einige neue Hörer für sich gewinnen.
Die Stimme verliert
Bandjubiläum und Plattentaufe an einem Abend zu feiern, weckt natürlich Erwartungen. Umso mehr, als The Beauty of Gemina im Vorfeld ankündigten, dass das Konzert mit Kameras begleitet werden würde.
Der Anfang war vielversprechend. Eine grosse Leinwand versperrt die Sicht auf die Bühne. Visuelle Eindrücke, untermalt durch ein opulentes Intro. Mit einem Knall fällt der weisse Stoff wie ein Vorhang und die Band beginnt mit End, dem Opener von Minor Sun, ein über zweistündiges Abenteuer. Die Soundwand hätte Donald Trump vor Neid das Orange aus dem Gesicht gewischt, das Rasiermesser-Riff zerfetzt den Klangteppich wie im Wahn.
Es war laut, verdammt laut. Und wie so oft, kämpfte Michael Sele mit seiner Stimme gegen die Übermacht der Instrumente an – doch zu oft verlor er die Schlacht. Es ist neben der Lautstärke der grösste Abstrich des Abends.
Brillante Auswahl
Trotzdem arbeitet die Band unermüdlich. Nach End wird mit Bitter Sweet Good Bye und Haddon Hall kräftig aufs Gaspedal gedrückt. Mac Vinzens und Andi Zuber liefern den Groove ohne Verzögerung, bilden sicheres Fundament und peitschender Antrieb zugleich. Aus diesem satten Klangteppich aus Bass und Drums steigt Another Death wie ein teuflisch dichter Nebel herauf. Der Song – hypnotisch – legt sich schattenhaft auf die Seele.
Kings Men Come ist ein wahres Donnergrollen. Der neue Live-Gitarrist Ariel Rossi bringt seine eigene Interpretation in die Melodie, sodass der Refrain deutlich mehr schlingert. Sele predigt währenddessen wie eh und je, wenn nicht sogar besser und mit mehr Selbstvertrauen. Überhaupt spielt die Band mit einer faszinierenden Überzeugung. Vielleicht ist es ihr abgeklärteste Auftritt jemals, keine Spur von Unsicherheit.
Diese Selbstsicherheit kann begeistern. Allerdings fehlt es dem Konzert an deutlichen Höhepunkten. Und für eine Jubiläumsshow vermisst man die Specials. Die Lichtshow, die hin und wieder aus der Bühne ausbricht und den ganzen Raum einnimmt, gehört schon zum Standard-Repertoire ihrer X-Tra-Shows.
Dafür brillieren die Musiker mit einer grossartigen Songauswahl. Die Drums bei Hunters knallen wie Gewehrschüsse. Das virtuose Solo von Vinzens kann in seiner Komplexität von Verzögerungen und Auslassungen nur ansatzweise erahnt werden. Darkness, das mit einer sanften Piano-Passage beginnt, explodiert regelrecht, als die Band mit voller Wucht einsteigt. Und bei Suicide Landscape realisiert man zum ersten Mal, wie stark sich The Beauty of Gemina seit ihrem Debüt-Erfolg entwickelt haben. Heute, zehn Jahre später, klingt die Band vielschichtiger, erwachsener und mutiger.
Kingdoms of Cancer wird mit so viel Druck aufgeführt, dass es sämtliche Brustkörbe vibrieren. Seles autoritärer Gestus gleicht dem eines Populisten, wäre da nicht seine tief traurige Stimme, die sich gegen all die Gemeinheiten der Welt stemmt. Zeitweise spielt die Band so kraftvoll, dass man fürchten musste, die Decke des Saals werden gleich mit Gewalt in den Nachthimmel geschossen.
Synchronisierte Herzen
Nach einem ersten, atemlosen Rausch wendet sich Sele erstmals ans Publikum. Er verrät, wie er seinem Sohn heute erzählte, dass für das Konzert 500 Tickets im Vorverkauf weggegangen sind. «Aber Papa, Ronaldo hat viel mehr Leute im Stadion», entgegnete Seles Junior. Das sei die Frage: Werde man Fussballer oder Musiker? So stimmen die Herren Crossroads an. Leider wird die akustische Gitarre als treibende Kraft vollständig von den Drums gefressen. Als Ersatz verleiht Raphael Zweifels Cello dem Song eine ungeahnte Weite.
Nach 90 Minuten macht sich die Erschöpfung bemerkbar. Sele trifft bei All Those Days die Töne nicht mehr ganz. Es ist der Abschluss des regulären Sets – nun folgen ganze sieben Zugaben. Eine Rekordmenge für die Band.
This Time lässt noch einmal die Gitarren fräsen wie Motorsägen. The Beauty of Gemina aktivieren ihre letzten Reserven. Lonesome Death Of A Goth DJ pumpt den Beat erbarmungslos durch die Gehörgänge. Alle Glieder zittern im Takt, die Herzen synchronisieren sich.
Der Song als Mantra
Close To The Fire zündet ein letztes Rock-Feuerwerk. Wie Getriebene heizen die Musiker rastlos durch die Strophen, vom ursprünglichen Wave ist hier keine Spur mehr. Nur die Stimme bildet den dunkelroten Faden, der einen daran erinnert, wer hier auf der Bühne steht. Es ist ein kleines Wunder, dass die Pastoren-Stimme von Sele bei diesem Tempo nicht ins Straucheln gerrät. Wer genauer hinhört, erkennt, dass Sele jeweils bloss einen Schritt macht, während die Band unmissverständlich vorwärts stürzt. Das sind die kleinen Raffinessen, die die Songs von Minor Sun um Längen besser machen als jene von Ghost Prayers.
Das traumtänzerische Down On The Lane verzaubert das Publikum mit seiner verschnörkelten Melodie, unterfüttert durch sanftes Cello-Spiel. Last Night Home markiert den Abschluss. Ein letztes Mal beschwören sie eine psychedelische Düsternis. Die Instrumente verlaufen wie zu nasse Farbe. Einzig der beständige Rhythmus zeigt die Richtung an: immer weiter.
The Beauty of Gemina spielen sich in einen veritablen Rausch, der Song wird zum Mantra, das endlos fortgeführt werden könnte. Das Ende wirkt dementsprechend deplatziert wie das abrupte Aufwachen aus einem Traum.
Vielleicht waren die Erwartungen zu hoch gesteckt, aber am Ende blieb trotz der Qualität ihrer Performance ein ambivalenter Eindruck. Da ist eine kleine Lücke. Irgendetwas wurde vermisst, ohne dass ich sagen könnte was.
Dennoch: The Beauty of Gemina spielten auf höchstem Niveau. Über 200 Konzerte an Erfahrung brachten sie auf die Bühne. Ihre Darbietung war an Druck und Dringlichkeit nicht vergleichbar mit früheren Konzerten. Dass die Stimme von Sele zu oft unterging, tat seiner Darbietung zwar etwas Abbruch. Doch konnte einem nicht entgehen, wie der Sänger auf der Bühne durch die Musik nach aussen gekehrt wurde: Michael Sele liebt, leidet, klagt und erobert auf der Bühne.